Buchtipps aus aller Welt

 

 

 

 





 

 

Hans Schaarwächter

Reise des Seepferdchens

von ihm selbst erzählt

 

 

 

Ich habe einen Schatz gefunden! Ein Kleinod! Ganz unverhofft in einem öffentlichen Bücherschrank am Rhein,
an dem ich an fast jedem Arbeitstag in der Mittagspause vorbeispaziere und immer neugierig hineinspähe,
jedoch selten wirklich etwas von Interesse darin vorfinde. Doch diesmal erwartete mich darin eine
freudige Überraschung, ein Kuriosum schon vom Titel her, welcher mir direkt ins Auge fiel:
„Reise des Seepferdchens". Und anstelle der Nennung eines Autors stand darunter „von ihm selbst erzählt". Hm.
Meine Neugier war geweckt.

Ich nahm das grüne, großformatige Taschenbuch mit einer überdimensionalen Seepferdchenzeichnung auf dem Cover heraus,
überflog die Inhaltsangabe auf dem Buchrücken - auf welchem dann doch Foto, Name und Kurzbeschreibung des Verfassers prangten -
und klappte schliesslich das Buch auf: Innen keine Angaben zu einem bekannten Verlag, zu Auflage oder Erscheinungsjahr,
„Illustrationen: Das Seepferdchen", „Seepferdchenstudio". - Aha, wohl ein im Selbstverlag gedrucktes Werk,
interessant. Darin lag ein dem Buch zugehöriges, kleines Lesezeichen aus durchsichtiger Plastikfolie, auf welchem ebenfalls
das Abbild des Seepferdchens samt Buchtitel prangte. Hübsche Idee.

So reiste das Seepferdchen also nun zu mir nach Hause, wo ich gespannt seinen Reisebericht zu lesen begann.
Die Inhaltsangabe auf dem Buchrücken bringt es bereits auf den Punkt: „Dieses Buch fällt aus dem Rahmen":
Auf unerklärliche, märchenhafte Weise finden der menschliche Protagonist Poul und ein namenloses Seepferdchen zusammen
und begeben sich gemeinsam auf eine einjährige Weltreise - jedoch nicht zu Wasser, wie man es von einem Seepferdchen „erwarten" würde,
sondern auf ganz menschlich-herkömmliche Weise per Flugzeug. Aus den tiefen Tangwäldern des Mittelmeeres gelangt das
Seepferdchen so auf wundersame Weise in die Pilzwälder der Wolkenkratzer, in zahllose Hotels, Restaurants, Museen, Theater
und Schauplätze der Welt, angefangen von Lissabon über Südamerika, Westafrika, Madagaskar, Iran, Indien, Bangkok, Hongkong,
Japan und Alaska, insgesamt in 33 Länder, stets nach der Devise „überall ankommen wie ein Kind", sehen, erleben, staunen.

Natürlich kann das Seepferdchen, oder „Mademoiselle Hippocampe" (lat. von Hippocampus = Seepferdchen),
wie Poul seine winzige Reisegefährtin nennt, auch sprechen – nicht zuletzt hat es ja den Reisebericht geschrieben!
– und das nicht nur mit Poul, sondern auch mit anderen Menschen, die ihnen unterwegs begegnen und für solch eine
Kuriosität empfänglich sind. Dabei neigt das Seepferdchen durchaus gerne zu Ironie und Kritik an den Menschen und beweist
dadurch seine Intelligenz (vgl. Hippocampus = Teil des menschlichen Gehirns).

Die Dialoge zwischen den beiden klingen oftmals etwas altmodisch, teilweise gespickt mit inzwischen so nicht mehr im
allgemeinen Sprachgebrauch genutzten Wörtern. Dies mag wohl daran liegen, dass das Buch lt. Internetrecherche
im Jahr 1983 erschienen ist und der Autor im darauf folgenden Jahr im hohen Alter verstarb.
Man kann also nur mutmaßen, wann es geschrieben wurde, falls dies überhaupt „in einem Rutsch" geschah
oder eher über einen längeren Zeitraum hinweg.

Wie dem auch sei – ich empfinde es als ein ganz grossartiges, süsses, liebevolles und wunderbar „anderes" Reisebuch
für alle, die die weite Welt lieben und sich immer auch für die Menschen, ihre Kultur, ihren Glauben und das
„Alltägliche in der Fremde" interessieren.

Zu kaufen gibt es dieses Buch wohl leider nur noch vereinzelt auf eBay oder in Buchantiquariaten – oder vielleicht
in einem öffentlichen Bücherschrank. Dieses Exemplar, was ich nun in Händen halte, wird jedenfalls hier bleiben –
und wer weiss, vielleicht wird das Seepferdchen fortan mit mir reisen. ;-)

 

 

 

 

Ayelet Gundar-Goshen:

 Löwen wecken

 

 

 

 

 

Ein Arzt überfährt eines Nachts aus Versehen einen illegalen Einwanderer aus Eritrea.
Da es keine Zeugen zu geben scheint und der Mann wahrscheinlich ohnehin sterben wird, meldet Etan
den Unfall nicht, um sich Ärger zu ersparen und seine ohnehin bereits angeknackste Karriere nicht endgültig aufs Spiel zu setzen.
Doch am nächsten Tag klopft es an der Haustür und die Frau des Opfers steht vor ihm. Für ihr Schweigen verlangt sie eine Gegenleistung,
die Etan dazu zwingt, fortan ein Doppelleben zu führen und seine Ehefrau Liat, die als Kripobeamtin mit dem Unfalltod
des illegalen „Infiltranten“ betraut wird, von nun an zu belügen …

In der Folge entwickelt sich eine vielschichtige und spannende Handlung um Hass und Liebe, Schuld und Moral, die so einige Fragen aufwirft,
wie z.B. Was ist ein Menschenleben wert? Ist das Leben eines illegalen Flüchtlings weniger wert als das eigene? Wie lässt sich eine Tat büßen?
War das Opfer zugleich auch Täter und wenn ja, was ändert das? Wie viele Lügen erträgt die Liebe bzw. erträgt man selbst?

Die Geschichte spielt in Be’er Scheva, einer Stadt im Süden Israels am Rande der Wüste Negev, könnte aber vom Prinzip her -
und von einigen Besonderheiten abgesehen (z.B. der offiziell benutzten Bezeichnung „Infiltranten“ für Flüchtlinge aus Eritrea, Sudan etc.,
die mir beim Lesen immer wieder aufgestoßen ist) - genauso gut in Europa oder anderswo auf der Welt spielen.

Manche Rezensenten werfen der Autorin eine stellenweise „derbe Sprache“ und die Nutzung zu vieler Vergleiche vor.
Ich kann dazu nur sagen: Das Leben ist derb, die Sprache gibt dies lediglich wieder.
Ich verstehe auch nicht ganz, wer sich heutzutage noch an einem „F“-Wort o.ä. stört - willkommen im Leben!
Und die bildhaften Vergleiche gefallen mir gerade, z.B. auf Seite 72:
„… Er hätte sich schuldig fühlen müssen, aber seine Schuld welkte, gleich einer Blume, die nur einen Tag blühte,
angesichts dieser dreisten Erpressung …“
Oder auf Seite 272: „..Die Lüge hatte sich, wie ein anfangs kratzender Wollpullover, eingetragen. Er fühlte sich wohl darin…“
Auch viele andere Formulierungen finde ich ausserdordentlich gelungen, auch ohne dass ich jetzt mit Zitaten um mich werfe.
Obwohl ich das Buch erst wenige Jahre habe, habe ich es glaube ich jedes Jahr gelesen, könnte also zum Dauerbrenner
à la „Unter dem Tagmond“ für mich avancieren. Auf jeden Fall eine wärmste Lese-Empfehlung meinerseits!

 

 

 

 

 

Anthony Bourdain:

 Ein Küchenchef reist um die Welt

(engl.: A Cook's Tour. In Search of the perfect meal)

 

 

 

 

Kurzweiliges, kulinarisches Reisebuch

Dieses Buch hat uns besonders gefallen, da es zwei unserer großen Leidenschaften zusammenbringt: Reisen & gutes Essen.
Anthony Bourdain berichtet in einem locker-lustigen bis zynischem Stil von seiner kulinarische Reise
um die halbe Welt (darunter Vietnam, Kambodscha, Frankreich, Portugal, ...), überall auf der Suche
nach der "perfekten" Mahlzeit. Am besten gefallen hat ihm dabei offensichtlich Vietnam,
dem er ganze vier Kapitel seines Buches widmet, auch wenn sein Fazit letztendlich lautet, dass es
"die" perfekte Mahlzeit gar nicht gibt, dass sie immer wieder völlig unerwartet in
einer anderen "Verkleidung" daherkommen kann.

Autor Anthony Bourdain nahm sich im Juni 2018 in einem Hotelzimmer in Frankreich das Leben. :-(

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Cullen:

Der Fahrplan ist die Speisekarte

(engl.: Cook's Tour. A Haphazard Journey from Guanghzou to Dublin and Back Again)

 

 

 

 
Der Weg ist das Ziel

Der in Australien lebende Koch Paul Cullen beschließt, zusammen mit seiner Frau und seinen drei Töchtern in sein Heimatland
Irland zu reisen - doch nicht etwa mit dem Flugzeug, sondern von Hongkong aus auf dem Landweg per Eisenbahn.
So führt die abenteuerliche Reise der Familie durch China, Kasachstan, Usbekistan, Russland und Europa.
In seinem Reisebericht erzählt er mit viel Humor und Offenheit gegenüber fremden Kulturen von seinen Eindrücken und
Erlebnissen, von überfüllten Zügen, unwirschem Hotelpersonal, Begegnungen mit Menschen, den Problemen der Verständigung und
den Tücken des Fahrkartenkaufs. Zwischendurch beschreibt er immer wieder unterschiedlichste Speisen, die er
mit seiner Familie in kleinen Garküchen, Bäckereien oder auf bunten Märkten verzehrte, von denen nicht alle unbedingt
als Genuss empfunden wurden ...

Wenn auch nicht mehr ganz neu (die Reise fand 1993 statt) liest sich dieser Reisebericht wie ein spannender Roman,
der immer wieder zum Lachen anregt. Dazu gibt es einige Farbfotos von der Reise -
leider aber nur eine einzige Karte der Route, der einzige kleine Wermutstropfen, alles in allem jedoch
ein schönes, interessantes und humorvolles Buch über das Reisen!

 

 

 

 

Katharina Hagena:

 Das Geräusch des Lichts

 

 

 

 

 

 

 

 

Da mir der Roman „Der Geschmack von Apfelkernen“ der Autorin so gut gefallen hatte, war ich nun gespannt auf diesen.

Die Handlung:

Fünf Menschen sitzen im Wartezimmer eines Nervenarztes, darunter eine Frau, die sich das Warten dadurch verkürzt,
dass sie in ihrem Kopf die Lebensgeschichten der Mitwartenden erfindet, auch ihre eigene, und diese geschickt
und fantasievoll miteinander verwebt.

Da ist zum Beispiel die Moosforscherin Daphne, die in Yellowknife in Kanada nicht nur nach Moosarten sucht,
sondern auch nach ihrer verschollenen Forschungskollegin, die auf der Suche nach winzigen Bärtierchen war;

Oder der Musiker, der für seine verstorbene Frau, die in Kanada ein vor ihm verborgenes Leben als
Klangkünstlerin geführt hatte, in Yellowknife auf das Geräusch des Nordlichts wartet;

Und im zentralen Teil des Romans der Junge, der sich zur Verarbeitung des tragischen Todes seiner Mutter und
seiner Halbschwester eine phantastische Erklärung um deren Flucht zum Planeten Tschu ausgedacht hat,
welche er zum Leidwesen seines Vaters hartnäckig verfolgt.

Dabei taucht immer wieder ein Element auf, das die eine Geschichte mit der anderen verbindet – ein kleiner
Faden, wie die winzigen Rhizome eines Mooses.
Was alle Geschichten verbindet ist Kanada, das Nordlicht, der Verlust eines oder mehrerer Menschen (stets Frauen),
Autounglücke im weitesten Sinne. Klingt vielleicht alles etwas merkwürdig. Ist es auch. Aber die Geschichten
sind wunderbar und fesselnd erzählt, so schön formuliert, mit intelligenten Wortspielereien gespickt und mit
so viel Fantasie geschrieben, dass man einfach immer weiterlesen möchte (zumindest ich).
Am besten gefällt mir die traurige und doch auch erheiternde Geschichte des Jungen und seine Theorie über die Flucht
seiner Mutter und seiner Halbschwester zum imaginären Planeten Tschu. In jedem Kanaldeckel, hinter jeder Art von
Gitter wittert er einen Weg zu dem geheimnisvollen Planeten. Die Suche nach den beiden führt ihn und seinen
Vater über Berlin und New York bis nach – Yellowknife, Kanada. Natürlich. ;-)

 

 

 
 

Katharina Hagena:

 Der Geschmack von Apfelkernen

 

 

 
 

 

Familienromane sind eigentlich weniger mein Ding – in diesem Fall aber schon, zumal es sich hier nicht um eine dicke Saga handelt,
sondern um eine „schlanke“ Erzählung! Vielleicht ist die Bezeichnung „Familienroman“ hier auch irreführend, denn vielmehr
geht es in diesem Roman auch um das Sich-Erinnern und das Vergessen - und die eine oder andere kleine Liebesgeschichte
ist auch noch dabei. Vor allem gefällt mir der ruhige Erzählstil bzw. wie es der Autorin gelingt, immer wieder schöne Vergleiche
und Formulierungen zu finden.

Zur Handlung:

Iris ist zur Beerdigung ihrer Großmutter Bertha in das norddeutsche Heimatdorf ihrer Mutter gereist.
Hier hat sie einst als Kind zahlreiche unvergessliche Sommer zusammen mit ihren Großeltern und Tanten, ihrer
Cousine Rosmarie und deren Freundin Mira verbracht. Bei der Testamentsverkündigung ist Iris überrascht,
dass die Großmutter ausgerechnet ihr, der einzigen noch lebenden Enkeltochter, das alte Haus vererbt hat.
Um in Ruhe zu überlegen, was sie mit diesem Erbe anfangen soll, nimmt sie sich ein paar Urlaubstage
mehr als geplant und zieht in das Haus, stöbert durch die altbekannten Zimmer, den verwilderten Garten,
schwimmt wie einst im Moorsee und wirft sich in die schicken Kleider ihrer Mutter und Tanten aus den
alten Kleidertruhen. Von ihren Erinnerungen getragen wird sie zur gedanklichen Zeitreisenden
zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die immer wieder auf Lücken und ihr eigenes Vergessen stößt.

Was war damals im Krieg mit Großvater Hinnerk?
Warum ist Berthas Schwester Anna an Lungenentzündung gestorben?
Welches Geheimnis hat Bertha bis zuletzt bewahrt?
Wer hat welche Apfelsorte am liebsten gegessen? Wie kam es zu Rosmaries tragischem Tod und
was ist aus Mira und ihrem jüngerem Bruder Max geworden?
Zumindest letztere Frage klärt sich schnell: Er ist Anwalt geworden und mit Berthas Erbschaftsangelegenheit
betraut. Und eigentlich ist er auch gar nicht mehr "die kleine Niete" aus Iris‘ Erinnerung …

Ich habe dieses Buch bereits mehrmals super gern gelesen – es liegt wohl wie eingangs erwähnt einfach
an der schönen Art, wie es geschrieben ist. Ich hab mich einfach wohlgefühlt in dieser Geschichte –
oder eigentlich in den vielen kleinen Geschichten dieser drei Familiengenerationen.
Und eigentlich ist es auch leicht zu lesen - aber ich muss gestehen:
Mit den Namen und Verwandtschaftsbeziehungen tat ich mich schwer, darum habe ich mir selbst einen Stammbaum aufgezeichnet,
der mir beim Lesen eine gute Hilfe war. ;-)
Ok, das Ende … vorhersehbar, aber egal. Ich les wohl sonst zu viele Bücher mit offenem oder weniger gutem Ende,
so dass ich ein Happy End gar nicht mehr gewohnt bin und auch mal schön finde. :-D


 

 

 

 

Katharina Hagena:

Vom Schlafen und Verschwinden

 

 

 

 

 

 

In einer schlaflosen Nacht in ihrer Hamburger Wohnung rollt die Schlafforscherin und Haupterzählerin Ellen
rückblickend ihre bisherige Lebensgeschichte auf. Sie erzählt von ihrer Kindheit und Jugend in einem kleinen badischen Dorf,
ihrer darauffolgenden Zeit in Irland, von ihren Lieben und ihren Verlorenen: von ihrer Mutter, die am Ende nur noch schlief;
ihrem Vater, der einen Chor gründete, um den schweren Schlaf herbeizusingen; ihrem Jugendfreund Andreas, der nicht mehr
spricht, aber mitsingt; von Lutz, der spurlos verschwand; von ihrer Tochter Orla, die Windharfen bastelt, und von ihrem
Liebhaber Benno, der im Wald ein Stück Vergangenheit sucht.

Dabei wird Ellens Erzählung immer kurz unterbrochen von kursiv gedruckten Einträgen aus dem Chortagebuch, das
von der geheimnisvollen Marthe geführt wird, von der nur einer weiß, wer sie wirklich ist.
Marthe, die durch die Rheinauen wandelt, die Graureiher beobachtet, die gleichfalls sucht.
Im Verlauf der Erzählung wird alles allmählich klar und mit dem Ende kommt heraus, welche Tragödie sich tatsächlich abgespielt hat.

Eine virtuos geschriebene, intensive Geschichte - poetisch, märchenhaft, geheimnisvoll und spannend mit überraschendem Ende.


 
 

Werner Köhler:

 Cookys

 

 

 

Die rückblickend erzählte Geschichte des Ich-Erzählers Gerd Krüger alias Cooky beschreibt anschaulich und stimmungsvoll
dessen Entwicklung vom naiven Jungen vom Land über den unsicheren Jugendlichen bis hin zum jungen, erfolgreichen
Leiter des Spitzenrestaurants „Cooky's". Dabei zieht sich die Leidenschaft für das Kochen wie ein roter Faden
durch sein Leben. Während er sein Kochtalent in jungen Jahren zunächst vor allem als Mittel einsetzt, um Frauen
für sich zu gewinnen (um dadurch seine Unsicherheit im Ungang mit ihnen zu kaschieren), verhilft ihm dieses
später zu seinem beruflichen Erfolg.

Die hauptsächlich in Aachen spielende Erzählung beginnt vor dem Hintergrund, dass das Restaurant inzwischen zwar
ordentlich boomt, es in Cookys privatem Bereich, sprich: in Bezug auf Frauen, zu seinem Leidwesen jedoch seit
geraumer Zeit eher mau aussieht - ein Manko, dass er durch die nahezu ausschließliche Konzentration auf
seine Arbeit auszugleichen versucht. Jäh aus seinem Trott heraus gerissen wird er durch ein denkbar
trauriges Ereignis: Den plötzlichen Tod eines guten Freundes. Im Lauf der darauf folgenden Rückblenden in die
70er- und 80er-Jahre erfährt der Leser anhand Cookys persönlicher Erinnerungen nicht nur von dessen
Entwicklung hin zu dem Menschen, der er jetzt ist, sondern auch mehr über die Person des
Verstorbenen und den Hintergründen, die zu dessen Tod führten, sowie über die damaligen Schulfreunde,
die durch das Restaurant noch bis in die Gegenwart miteinander verbunden sind
Dazwischen wird stets viel und lecker gekocht, so dass man beim Lesen geradezu Appetit auf Cookys Gerichte bekommt.

Ein sehr schönes, stellenweise auch trauriges Buch über das Jungsein, die Liebe, Freundschaft und Zusammenhalt.

 

 

 

 

 

 

    Volker Kutscher:
Die Gereon-Rath-Krimireihe

 

 

 

 

 

Erst durch die TV-Serie „Babylon Berlin“, die ich sehr verspätet für mich entdeckt habe,
bin ich auf die zugrundeliegende Krimi-Buchreihe von Volker Kutscher gestoßen. Tja, und was dann passierte, hatte ich noch nie:
In Windeseile habe ich mich durch die acht (!) Bände gelesen (und inzwischen auch den neuen 9. Band),
konnte kaum aufhören, da der Spannungsbogen zwischen den Kapiteln
nie abreisst und sich die komplexen Handlungsstränge immer wieder in überraschende Richtungen entwickeln.

Da ich die 3 Serien-Staffeln ja bereits kannte, überraschte mich der erste Band "Der nasse Fisch" vor allem dahingehend, dass er in vielem
sehr anders ist als die TV-Serie, die mit Zustimmung des Autors viel freie Hand in der filmischen Umsetzung hatte und
diese auch genutzt hat (und dies hervorragend - aber das ist ein anderes Thema).

Also, ich kann es vorweg sagen: Wer die TV-Serie kennt, muss nicht befürchten, die Bücher erzählten 1:1 dieselbe Geschichte.
Mitnichten. So gibt es auch einige Charaktere nur im Film, manche nur im Buch, manche sind im Roman lediglich Randfiguren oder heißen anders etc.

Ich möchte hier keine Inhaltsangabe aller bisherigen Bände liefern - das führte zu weit und das kann man auch anderswo nachlesen.
Darum hier jetzt einfach etwas von mir zum Einstieg in die Buchreihe:

Die Bücher spielen in den Jahren ab 1929 in der Weimarer Republik und setzen sich jährlich fort – und ja, wir wissen heute,
wohin die politische Entwicklung führte, die Protagonisten jedoch nicht. Sie leben in ihrer Gegenwart, können lediglich mutmaßen,
glauben, hoffen (so wie wir heute auch …).


Band 1: Der nasse Fisch

Die Hauptfigur, Kriminalkommissar Gereon Rath, wurde infolge eines tödlich verlaufenen Polizeieinsatzes mit Hilfe des Einflusses
seines Vaters von Köln nach Berlin versetzt. Dort ist er zwar zunächst lediglich der „Sitte“ unterstellt, möchte aber um jeden Preis wieder
für die Mordkommission arbeiten. So ermittelt er neben seiner normalen Arbeit dann erstmal heimlich „nebenbei“, also ohne dienstliche Befugnis,
auf eigene Faust im Fall eines Leichenfunds im Landwehrkanal, der sich zu einem äußerst komplexen Kriminalfall entwickelt, stößt Rath
im Verlauf seiner Ermittlungen doch auf Verbindungen zu umstürzlerischen Exilrussen, Waffenschmuggel entgegen der Versailler Verträge, zum
organisiertem Verbrechen und einem mysteriösen Goldschmuggel. Dabei verliebt er sich in die Stenotypistin Charly aus der Mordkommission
und nutzt deren Insiderwissen für seine geheimen Ermittlungen, bei denen er sich in die kriminellen Machenschaften der Berliner
Unterwelt verstricken lässt. Schließlich muss er sich fragen, was ihm wichtiger ist: Seine berufliche Karriere, die Wahrheit oder seine Liebe zu Charly …

Was Band 1 der Krimi-Reihe ausmacht, gilt ebenso, wenn nicht noch mehr, für die folgenden Bände:
Die Story ist sehr gut und spannend erzählt, intelligent, komplex und gekonnt eingebettet in den geschichtlichen Kontext. Einige Personen wie z.B.
den Leiter der Berliner Mordinspektion, Ernst Gennat („Der Buddha“) oder den Kellner Bayume Mohamed Husen (im 4. Fall) gab es tatsächlich.

Die Hauptfigur Gereon Rath ist weder im Polizeialltag noch privat ein perfekter Held, sondern hat auch Schwächen und Macken, die ihn als
Charakter aber sympathisch machen. So verstößt er zum Beispiel oft und gerne gegen Regeln, nimmt es mit der Wahrheit nicht immer so genau,
ist oftmals unbeherrscht, vertuscht eine eigene Straftat, bringt aus eigenem Rechtsempfinden einen Mord auch mal nicht zur Anklage und in
seiner Beziehung zu Charly handelt er auch oft unglücklich. Aber natürlich hat er auch gute Eigenschaften, u.a. seinen Humor und seinen Sinn
für Gerechtigkeit. Man fragt sich manchmal beim Lesen, ob man jetzt dringender wissen will, wie es mit dem Kriminalfall weitergeht
oder wie mit der Beziehung zu Charly.

Weiter möchte ich nicht ins Detail gehen, aber ich kann sagen:

Es bleibt in den folgenden Bänden weiter spannend, es bleibt komplex, die Lösungen der Kriminalfälle sind kaum vorhersehbar und die
beruflichen, privaten und politischen Entwicklungen bleiben stets ein Spannungsfeld.
Der 8. Band lässt mich etwas traurig zurück, auch wenn ich schon eine Ahnung hatte, wie das enden könnte. - Hoffen wir, es geht weiter!
Diese Buchreihe ist ein echter Pageturner und wärmstens zu empfehlen!


NEU: Transatlantik - Band 9

Mit Spannung hatte ich nach "Olympia" auf die Fortsetzung gewartet und diese nun in kürzester Zeit gelesen und
ich würde mal sagen: Es gibt etliche Gründe für eine Fortsetzung, die es lt. Autor auch geben wird. :-)
Zunächst fand ich den Anfang dieses Bandes etwas zäh, denn was in „Olympia“ am Ende im Kurzverfahren bereits erzählt wurde,
gibt es nun erstmal in der Langversion. Aber ich wollte doch vor allem wissen, wie es mit Gereon Rath weiter geht …
Ok, das dauert dann noch etliche Seiten, die aber jetzt auch nicht unspannend sind, auch wenn es zunächst in Berlin und vor
allem mit Charly, aber auch mit Fritze weitergeht.
Insgesamt hat mir dieser Band auch wieder super gut gefallen, wenn er auch anders ist als seine Vorgänger – aber das ist
auch gut so, denn es geht mittlerweile mehr um das, was den Protagonisten widerfährt im Zuge der immer schlimmer werdenden
politischen Verhältnisse in Deutschland vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs, und das allein ist ja schon super spannend.
Der Kriminalfall, den Charly mit Hilfe von Gereons Nachfolger, Kriminalkommissar Andreas Langer, nun aufklären möchte,
da ihre Freundin Greta darin verwickelt ist, erreicht nicht ganz die Spannung und Komplexität der Fälle von Gereon Rath,
ist aber dennoch gut aufgezogen mit Bezug auf einen zurückliegenden Mord an einem zu Unrecht Gefangenen im
Konzentrationslager Sachsenhausen aus dem vorigen Band „Olympia“.
Und dann geht es endlich auch weiter mit Gereons Geschichte in den USA …

Ok, also jetzt wieder 2-3 Jahre warten …


Die Bände im Einzelnen:

Der nasse Fisch - Band 1
Der stumme Tod - Band 2
Goldstein - Band 3
Die Akte Vaterland - Band 4
Märzgefallene - Band 5
Lunapark - Band 6
Marlow - Band 7
Olympia. - Band 8
Transatlantik - Band 9

 

 

 

 

    Charlotte McConaghy:
Avery - Thorne - Isadora
(Die Kaya-Chroniken)

     

 

 

 

Da mir die beiden Romane „Zugvögel“ und „Wo die Wölfe sind“ von Charlotte McConaghy so gefallen haben
war ich sehr daran interessiert, was sie davor so geschrieben hat.
Und ich war sehr überrascht: Fantasy. Wow, etwas völlig anderes!

So nahm ich mir erstmal die 3-bändige Reihe der „Kaya-Chroniken“ vor.
Diese Bücher sind 2013-2016 ausschließlich in Australien erschienen, d.h. es gibt sie lediglich im
englischsprachigen Original und für uns hier am günstigsten als eBooks.
Die Titel der Romane lauten „Avery“, Thorne“ und „Isadora“.

Wie gesagt – es ist Fantasy:
Das heißt es gibt Magie, dunkle Mächte und Fabelwesen (z.B. geflügelte Pferde).
Vor diesem Hintergrund geht es vor allem um den Mut, sich zu sich selbst zu bekennen und zu
akzeptieren und den Mut zu lieben.


Band 1: „Avery“:
Liebende in Kaya sterben immer paarweise, da sie durch einen unwiderrufbaren Bund miteinander verbunden sind.
Wenn ein Geliebter stirbt, stirbt auch der andere, so ist es seit Tausenden von Jahren.
Doch als Avas Gefährte Avery von der barbarischen Königin des kriegerischen Nachbarlands Pirenti ermordet
und Avas Seele dadurch entzweigerissen wird, ist sie die erste, die stark genug ist, um dennoch am Leben zu bleiben.
Doch dafür wird sie nicht etwa gefeiert, sondern die Menschen von Kaya wenden sich fortan von ihr ab.
Derweil schwört Ava sich, den Mord an Avery zu rächen.
Dieser Plan wird jedoch vorerst beendet, als sich Ava auf ihrem Pegasus reitend der Pirenti-Festung
zu sehr nähert und gefangen genommen wird. Auf Befehl der Herrscherin soll ihr Sohn Ambrose sie in das
gefürchtete Pirenti-Gefängnis auf einer entlegenen Insel überführen.

Ambrose ist wie sein älterer Bruder Thorne zum Töten und Hassen erzogen worden, doch auf der gefährlichen
Reise mit der andersartigen Kaya-Gefangenen (die er aufgrund ihrer Verkleidung für einen
jungen Mann hält) zur Gefängnisinsel ändert sich sein Denken zunehmend und - man ahnt es schon: Obwohl Ava seine
rachsüchtige Feindin ist, bahnt sich da etwas an, wodurch es aber insbesondere für ihn nicht einfacher wird,
da im gewalttätigen Land der Pirenti Gefühle als Schwäche verachtet werden.
Und wie wird er selbst mit Avas Tötungsplan an seiner Mutter umgehen,
ganz zu schweigen sein brutaler Bruder Thorne, der halb Mensch, halb Berserker ist?

Klingt jetzt in der Kürze vielleicht etwas platt, ist es beim Lesen aber gar nicht.
Letztendlich ist es eine spannende Fantasy-Romance über Verlust, Identität und darüber, den Mut zu finden,
trotz aller Widrigkeiten zu lieben.
Dabei erspart die Autorin ihren Charakteren nichts – es geht oftmals ganz schön brutal zu:
Da wird geschlagen, gehackt, gestochen, Köpfe und Gliedmaßen werden abgetrennt, das Blut fließt ....

Die Erzählweise ist immer abwechselnd aus der Sicht eines der Hauptcharaktere geschrieben.
Dies ermöglicht einen guten Einblick in die Denkweise jedes Charakters und zeigt, wie vielschichtig und
lebendig die Autorin ihre Charaktere gezeichnet hat.


Der zweite Band „Thorne“ spielt 20 Jahre später, Ambrose und Ava gibt es immer noch, doch neue, jüngere
Charaktere treten nun in den Vordergrund, wobei die Erzählweise gleichbleibt,
also immer abwechselnd aus der Sicht eines der Hauptakteure.

Zwischen Pirenti und Kaya hat sich inzwischen ein noch wackeliger Frieden etabliert.
Mittelpunkt der Handlung bildet die Suche nach einem Heilmittel gegen das paarweise Sterben der
Menschen von Kaya. So wird ein Team, bestehend aus den drei jungen Kayanern Finn, ihrem Zwillingsbruder
Jonah, dem kleinen Penn, der geheimnisvollen Isadora und dem jungen Kronprinzen Thorne von Pirenti
auf die Suche nach der Antwort geschickt. Trotz des offiziellen Friedens zwischen beiden Ländern
lauern jedoch überall noch Gefahren und Feinde …

Durch die Erzählweise aus den unterschiedlichen Perspektiven der Akteure werden diese auch hier wieder
vielschichtig und lebensnah beschrieben, wobei vor allem der etwas andere Penn ein sehr schön
und liebevoll gezeichneter Charakter ist.


3. Band: „Isadora“:

Der dritte und letzte Band schließt zeitlich nahezu unmittelbar an den zweiten Band an.
Das Königreich Kaya wird von einer dunklen Macht gestürzt und sein vermeintlich schwacher Kaiser Falco
muss im Königshaus von Pirenti bei Ambrose, Ava, Thorne und Finn Zuflucht suchen.
Doch je mehr die Länder vom Bösen überschwemmt werden, desto stärker lastet der Druck auf Falco,
endlich die Maske abzulegen, die lange Zeit sein wahres Wesen verbarg, und sich seinem Erzfeind,
dem tödlichen Sparrow, zu stellen, von dem zunächst keiner weiß, wer dieser wirklich ist.

Erschwerend hinzu kommt, dass Falco und Isadora unvermittelt durch das unauflösliche Band der
Liebenden von Kaya aneinander gebunden werden, d.h. der Tod des einen würde nun auch den Tod
des anderen bedeuten. Doch Isadora, die an die Kraft des freien Willens glaubt und sich
weigert, sich einem Schicksal zu ergeben, ist entschlossen, sich zu befreien und ihren eigenen
Weg zu wählen, koste es, was es wolle.

Derweil muss König Ambrose die Kraft finden, seinem Volk eine neue, friedvollere Lebensweise
vorzuleben, bevor seine Familie und sein Land von ihrem gewalttätigen Erbe verschlungen werden.

Es geht im dritten und letzten Band der Kaya-Chroniken also sehr turbulent und kämpferisch zu,
doch die Liebe kommt nicht zu kurz und nimmt sogar einen zentralen Platz in der Handlung ein.
Erneut wird den Charakteren nichts erspart - und leider wird es letztendlich nicht für jeden gut ausgehen …

Mir hat diese spannende Buchreihe sehr gefallen, vor allem weil die Geschichte sprachlich toll erzählt ist,
es etliche Wendungen gibt und den Charakteren eine Tiefe verliehen wurde, die sie sehr lebendig und liebenswert macht.

 

 

 

    Charlotte McConaghy:
The Cure: Fury - Melancholy - Limerence

     

 

 

 

 

Eine weitere spannende Trilogie von Charlotte McConaghy ist „The Cure”,
bestehend aus den Bänden „Fury“, „Melancholy“ und „Limerence“.

Auch diese Trilogie wurde leider ausschließlich im englischen Original in Australien veröffentlicht –
also auch hier wieder am günstigsten die eBooks-Variante.

Vom Genre her ist diese Buchreihe eine Mischung aus SciFi & Romance, deren action- und spannungsgeladene Handlung
in einer nicht allzu fernen Zukunft (2063-2068) spielt und wie auch die Kaya-Chroniken abwechselnd jeweils
aus der Perspektive der Hauptcharaktere erzählt wird:

Die 18-jährige Protagonistin Josephine Luquet lebt in einer apokalyptischen Welt, in der ein Großteil der Menschheit
von einer Seuche dahingerafft wurde. Das herrschende autokratische Regime unterzieht die Überlebenden zwangsweise
einer medizinischen Behandlung („The Cure“), die ihnen die Fähigkeit nimmt, Wut empfinden zu können, da dieses
Gefühl als Ursache für zu viel Gewalt gilt. Eigentlich aber sollen die Menschen durch die Ausschaltung von
Gefühlen wie Wut und Empörung zu ruhig gestellten, gefügigen Drohnen degradiert werden.

Da bei Josephine das Testserum für diese Zwangsbehandlung nicht gewirkt hat, führt sie, um nicht entdeckt zu werden,
ein zurückgezogenes Leben am Rande der Gesellschaft. Doch irgendetwas hat das verabreichte Medikament in ihr
verändert, wacht sie doch seitdem jedes Jahr am Jahrestag ihrer Impfung irgendwo von fremdem Blut besudelt
auf und kann sich nicht erinnern, was sie getan hat …
Nach einer solchen „Blood Moon“-Nacht lernt sie in einer Bar Luke Townsend kennen, der starkes Interesse an ihr zeigt
und ihr im Verlauf des näheren Kennenlernens helfen möchte, die Wahrheit über sich selbst herauszufinden und einen
weiteren blutigen Jahrestag zu verhindern. Doch sowohl die Beziehung der beiden als auch ihr Vorhaben gestalten
sich äußerst schwierig und gefährlich, da überall Gefahren und Feinde lauern, namentlich die regierungstreuen
Elite-Kämpfer der „Bloods“ sowie die kannibalischen „Furies“.
Nicht zuletzt sind auch Lukes Identität und Motivation zweifelhaft, derweil die Zeit für die Suche nach
einem Gegenmittel bis zu Josis nächsten Blood Moon immer knapper wird …

***

Im zweiten Band „Melancholy“ gelingt es der vom „Blood Moon“ geheilten Josi, zusammen mit Luke den „Bloods“ um Haaresbreite
zu entkommen und den Weg zum Widerstand zu finden, einer Gruppe von Menschen, bei denen die Zwangsbehandlung gegen das
Wutempfinden auch nicht angeschlagen hat bzw. die vor ihrer Zwangsimpfung untertauchen konnten.

Doch das Leben im Widerstand ist auch kein Leben in Freiheit: Die Regeln sind hart, die ebenfalls autokratischen Anführer
der Gruppe unbarmherzig und die ständige Bedrohung durch die blutrünstigen Furies wird zunehmend größer.
Derweil plant die Regierung die zwangsweise „Heilung“ der Bevölkerung von einem weiteren menschlichen Gefühl:
Schon in Kürze soll den Menschen auch das Empfinden von Traurigkeit genommen werden, damit sie verlernen,
ihre Verluste zu betrauern. Um dies zu verhindern, wagen sich Luke und Josi zusammen mit einer Gruppe von Widerständlern
zurück in die Höhle des Löwen. Derweil ist ihre Beziehung auf einem Tiefpunkt angelangt, da Josi nun
Lukes Vergangenheit und seine Lügen kennt und ihr Vertrauen in ihn verloren hat.
Um den Kampf für das, was uns menschlich macht – unsere Empfindungen wie Vertrauen, Vergebung und Liebe -
gibt es jede Menge Action und Spannung (und Gewalt) und immer wieder überraschende Wendungen.
Für mich war es wie schon der erste Band ein mega Page-turner!

***

Im dritten Band „Limerence“ haben die blutrünstigen Angriffe der Furies die Gruppe der Widerstandskämpfer
stark dezimiert, so dass diese fortan nur noch in einem hermetisch gesicherten unterirdischen Tunnelsystem überleben kann.
Währenddessen plant die Regierung, als nächstes das Gefühl der Liebe in den Menschen zu eliminieren ...

Im letzten Kampf um die Freiheit gibt es für Josi und Luke keine Grenze, die nicht überschritten wird.
Für Josi bedeutet dies, zu der Kreatur zu werden, die sie am meisten fürchtet: Das Mädchen mit dem „Blood Moon“ ...
Der fesselnde Abschluss der dystopischen Trilogie ist wieder voller Action, Spannung und unerwarteten Wendungen.
Die vielleicht etwas zu vielen Zeitsprünge + die Perspektivwechsel der Erzählweise machen es dem Leser
nicht ganz einfach, man muss schon sehr aufpassen, wo und bei wem man gerade beim Lesen ist.
Andererseits ergibt gerade dies auch wieder unerwartete, spannende Wendungen.

Fazit:
Ich habe auch dieses dritte Buch der Cure-Reihe „gefressen“ – sehr spannend, komplex und intelligent,
actionreich und mit etlichen Wendungen und Hintergedanken. Insgesamt eine tolle Buchreihe!

Noch zwei Randbemerkungen zum 3. Band:
Relativ am Anfang des 3. Bandes wird Josis 22. Geburtstag gefeiert und jemand (Will) schenkt ihr ein Buch
namens „Migrations“ (!) über Vögel … (s. Charlotte McConaghys späterer Roman unter diesem Namen). – Vorsehung???

Es wird immer wieder ein Cellokonzert eines Komponisten namens Elgar erwähnt. Und zwar so oft, dass ich es
googeln musste. Ich habe es mir sogar angehört – also ok, ca. 1/3 davon, länger habe ich es nicht ertragen. Sehr speziell.
Kein eingängiges Stück. Mir hat sich die Musik nicht erschlossen. Ich schätze mal, es beruht auf einer privaten
Erfahrung/Erinnerung der Autorin, denn auf sowas kommt man nicht einfach mal so. Aber interessant.

 

 

 

    Charlotte McConaghy:
Wo die Wölfe sind / Once there were Wolves

 

 

 

Da mir von dieser Autorin bereits ihr erster Roman „Zugvögel“ so sehr gefallen hat,
habe ich direkt im Anschluss auch ihr zweites Buch gelesen – besser gesagt: verschlungen,
denn diese Geschichte ist sogar noch packender, sofern das überhaupt noch möglich ist.

Thematischer Hintergrund sind auch hier wieder Natur und Klimawandel, konkret geht es um Wölfe,
Wälder und den Versuch, durch Renaturierung den Klimawandel einzubremsen.
Erzählt wird von der Biologin Inti Flynn, die mit ihrer Schwester Aggie in die schottischen Highlands
gezogen ist, um dort ein Projekt zur Wiederansiedlung von Wölfen umzusetzen. Ziel ist die Wiederherstellung des
natürlichen Gleichgewichts des Hochlandes: Die Anwesenheit der Wölfe soll dafür sorgen, dass das Rotwild wieder wandert,
anstatt in einem Areal sesshaft zu leben und dort durch den Fraß junger Triebe das Nachwachsen der einstigen Wälder zu verhindern.
Dieser Plan stößt jedoch vor allem bei den lokalen Bauern nicht gerade auf Begeisterung, da diese um ihre Nutztiere
und letztendlich auch um ihre eigene Sicherheit fürchten.

Neben dieser Rahmenhandlung geht es aber noch um vieles mehr – kurz gesagt um Liebe, um Gewalt und um Empathie.
Insbesondere an letzterer hat Inti mehr als genug in sich: Sie leidet an einer seltenen Krankheit, der
Spiegelberührungssynästhesie. Diese bewirkt, dass Inti die sinnlichen Empfindungen anderer Lebewesen, sei es Genuss oder Schmerz,
genauso fühlt, als wären es ihre eigenen. Dies macht sie Menschen und Tieren gegenüber sehr mitfühlend, jedoch auch sehr verletzlich.
So hat der psychisch schlechte Zustand ihrer nicht mehr sprechenden Schwester Aggie auch Auswirkungen auf Inti und erst
nach und nach kommt heraus, wie es dazu kam.

Derweil passiert, was passieren musste: Erst gibt es einen erschossenen Wolf, dann einen getöteten Menschen.
Die Stimmung gegen die Wölfe und gegen Inti wird zunehmend aggressiver, zugleich nimmt eine Liebesgeschichte ihren Lauf, die Ereignisse
entwickeln sich zunehmend dramatisch und die Erzählung wird schließlich zum packenden Krimidrama, in dem man sich manchmal fragt:
Wer ist eigentlich gefährlicher - Mensch oder Wolf?
Gegen Schluss war es für mich nur noch ein Page-Turner – so einnehmend und spannend geschrieben!

Fazit:
Wieder ist es der australischen Autorin hervorragend gelungen, eine tolle, fesselnde Erzählung mit interessanten Charakteren,
Bezug zur Natur und thematischer Aktualität zu schreiben. Wie bereits „Zugvögel“ ist auch dieser Roman wie geschaffen
für eine Verfilmung – Kein Wunder, denn Charlotte McConaghy hat einen Abschluss als Drehbuchautorin.

Ausblick:
Laut ihrer Instagram-Seite war die Autorin im Frühjahr 2023 mit ihrem Lebensgefährten und Kleinkind
in der Subantarktis (u.a. Mcquarie Island) unterwegs und hat das Manuskript für ein weiteres Buch
zu Ende geschrieben, das aber wohl erst Anfang 2025 erscheinen soll.
Ich bin sehr gespannt!

P.S.: Wie auch schon in "Zugvögel" konnte ich auch in diesem Roman wieder etwas interessantes neues lernen:
Schon mal vom "Trembling Giant" gehört? (im Buch auf S. 125)
Oder von "Pando"?
Es ist ein "Wald" in Utah, aber eigentlich handelt es sich dabei nicht um einen wirklichen Wald,
bestehend aus unterschiedlichen Bäumen, sondern lediglich um einen einzigen Organismus:
Eine Zitterpappel, die über Rhizome immer weiter gewachsen ist und eine Klonkolonie aus ca. 47.000 (!) Stämmen
entstehen ließ und somit wie ein Wald wirkt. Ihr Alter wird auf ca. 14.000 Jahre geschätzt, je nach Quelle
sogar noch älter (die Autorin hat die Theorie mit 1 Mio Jahre gewählt, die aber wohl eher nicht zutrifft).
Welche Zahl auch immer stimmen mag - sehr beeindruckend.

 

 

 

    Charlotte McConaghy:
Zugvögel / Migrations

 

 

 

 

Der Roman spielt in einer womöglich nicht allzu fernen Zukunft, in der die Folgen des Klimawandels und der Ausbeutung
natürlicher Ressourcen zu einem weltweiten Artensterben längst befürchteten Ausmaßes geführt haben, so dass es
mittlerweile auf der ganzen Erde keine freilebenden Säugetiere mehr gibt. Auch Fische und Vögel gibt es nur noch
vergleichsweise wenige und die Küstenseeschwalbe scheint der einzig noch verbliebene Zugvogel zu sein.

Vor diesem Hintergrund plant die Protagonistin Franny, deren Leben ähnlich rastlos wie das eines Zugvogels erscheint,
die womöglich letzte Migration der Küstenseeschwalben von ihren arktischen Brutplätzen in ihre antarktischen
Überwinterungsgebiete zu verfolgen. Um dies zu realisieren, bleibt ihr keine andere Wahl, als ausgerechnet
auf einem der wenigen verbliebenen Fischerboote mitzureisen, also genau mit denjenigen den Vögeln hinterherzufahren,
die aus ihrer Sicht für die Ausrottung von Tierarten direkt mitverantwortlich sind.
Die Crew ihrerseits und insbesondere Kapitän Ennis sind ebenfalls nicht begeistert von der Anwesenheit einer
unerfahrenen Landratte an Bord, doch der Hoffnungsschimmer, durch die Verfolgung der Zugvögel doch noch den
„goldenen Fang“ im nahezu leergefischten Meer zu machen, besiegelt den Deal.

Abgesehen von ihrer gegenwärtigen Mission ist Franny zugleich in Geschehnissen aus ihrer geheimnisvollen
Vergangenheit gefangen – dem frühen Verschwinden ihrer Mutter, einer Tat ihres Vaters, einem Gefängnisaufenthalt,
ihrer eigenen Suche nach der Wahrheit und der außergewöhnlichen Liebe zu ihrem Ehemann Niall, einem angesehenen
Professor für Ornithologie, dem sie von unterwegs Briefe schreibt, die jedoch nie versendet werden (können).
In Rückblenden erfährt man nach und nach, was sich zugetragen und welche Bedeutung ihr Projekt tatsächlich hat.
Derweil gestaltet sich die Seereise in die Antarktis durch die stürmische, eisig kalte See alles andere als ungefährlich …

Mir hat diese Geschichte sehr gut gefallen, sowohl sprachlich als auch in ihrer Vielseitigkeit.
So ist z.B. das scheinbar konträre Verhältnis zwischen der Protagonistin und der Fischer-Crew sehr gut dargestellt:
Einerseits der Gegensatz zwischen Franny, die für den Artenschutz einsteht, und den Fischern, die immer so weiter machen
wollen wie bisher - andererseits aber auch das Verbindende, das sie wiederum eint: Die Sehnsucht nach dem Meer und nach Freiheit.
Die Reise von Grönland in die Antarktis ist dann packend erzählt wie ein Schiffs-Abenteuerroman, es ist viel die Rede
von Kälte, die immer wieder als zentrales Element in der Geschichte auftaucht und beim Lesen regelrecht spürbar wird.

Ein durchweg sehr schön und fesselnd erzählter Roman, der von seinem Hintergrund rund um Umweltzerstörung und
Artensterben genau in unsere Zeit passt. Dazu gibt es gegen Ende in einer der zeitlichen Rückblenden noch eine
überraschende Aufklärung einer noch offenen Frage bezüglich Frannys Vergangenheit.
Ein Roman, der geradezu schreit nach einer Verfilmung. Wie ich in Erfahrung bringen konnte, gibt es auch seit einiger Zeit ein
konkretes Filmprojekt – nur passiert ist bis dato (2023) leider noch nichts.
Also erstmal bzw. sowieso: Unbedingt lesen!

P.S.:Neben der packenden Story erfährt man auch noch so einiges Interessantes:
So wusste ich z.B. nicht, dass die Küstenseeschwalbe der Zugvogel mit dem längsten Zugweg ist, dass überhaupt ein Vogel
so eine weite Strecke zurücklegt von der Arktis bis in die Antarktis und wieder zurück, laut Wikipedia hin und
zurück bis zu 30.000 km jährlich (!), einige sogar noch mehr!
Das ist wirklich krass - wahre Vielflieger sozusagen, das aber rein ökologisch. ;-)

 

 

 

 

 

 

  Joachim Meyerhoff:
Alle Toten fliegen hoch

 

 

 

 

Unterhaltsam, lustig, leicht zu lesen - dabei aber dennoch sehr gut geschrieben!
Und das Beste: Es ist nicht nur 1 Buch, sondern eine kleine, vierbändige Erzählreihe namens

"Alle Toten fliegen hoch" von Joachim Meyerhoff
Sparte: Coming-of-Age / Entwicklungsroman

Die Bücher im Einzelnen:

1. Alle Toten fliegen hoch - Amerika
2. Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
3. Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke
4. Die Zweisamkeit der Einzelgänger
(P.S.: Es gibt noch einen 5. Band - diesen ignoriere ich lieber ...)

In dieser Romanreihe erzählt der Autor von seiner Kindheit und Jugend im ländlichenSchleswig Holstein
als jüngster von drei Söhnen des Direktors einer Kinder- und Jugendpsychiatrie (Band 1, vor allem
aber Band 2), seinem Schüler-Austausch in die USA (Band 1), seinem Schauspielstudium in München (Band 3)
und seiner Zeit als junger, mäßig erfolgreicher Theaterschauspieler.

Wie der Titel bereits verrät, geht es im ersten Band vor allem um sein Schüleraustauschjahr in den
USA und um seinen Traum, fern von Brüdern und Eltern allein die große, weite Welt zu entdecken.
Die Realität beschert ihm dann jedoch eine christliche Gastfamilie in einem Kaff in Wyoming...
Doch er nimmt die Herausforderung an und durchlebt jede Menge lustige und skurrile Begebenheiten und
natürlich auch erste Liebschaften. Der Schicksalsschlag ereilt ihn dann aus heiterem Himmel …

Der zweite Band führt zeitlich einen Schritt zurück in die Kindheit des Erzählers und das Aufwachsen
in einer Familie, die auf dem Gelände einer Psychiatrie-Anstalt in Schleswig lebt, da der Vater
dort der Psychiatriedirektor ist. Einerseits wimmelt es geradezu von skurrilen Begegnungen und
lustigen Anekdoten, andererseits geht es in diesem Band aber insbesondere auch um seinen Vater,
ein Geheimnis und einen weiteren Schicksalsschlag.

Im dritten Band scheint der bislang perspektiv- und motivationslos vor sich hindümpelnde Protagonist
allmählich seinen Weg zu finden und beginnt eine Schauspielausbildung in München.
Es folgt jedoch nicht etwa eine wilde Studentenzeit in der Großstadt, sondern vielmehr eine
Gratwanderung zwischen der Welt seiner Großeltern, bei denen er während seiner Ausbildung wohnt, und
der für ihn in vielerlei Hinsicht befremdlichen Welt des Theaters. Zunehmend kämpft er dabei gegen
Selbstzweifel und eine innere Leere, die auch seine Großeltern bereits ergriffen hat.

Der abschließende vierte Band beschreibt die Zeit seiner ersten Bühnenengagements in der Theater-Provinz
und endlich auch der ersten großen Liebe – oder sind es etwa schon bald zwei? Oder gar drei?
„Egal“, würde Nr. 2 drauf antworten … Und ganz am Schluss löst sich dann auch der
Titel dieser empfehlenswerten Buchreihe auf.

Fazit: Alle vier Bände sind überwiegend geprägt von lustig erzählten, komischen und skurrilen Erlebnissen,
die der Autor mit einer guten Prise Selbstironie und viel Wortwitz unterhaltsam rüberbringt, die aber auch
immer wieder von tragischen Ereignissen durchbrochen werden.
Ja, er erzählt gern (über sich) - aber abgesehen von ein paar kleineren, gefühlten Längen in Band 3 und 4
habe ich die Bände in rascher Folge aufeinander gelesen und habe es sehr genossen!

 

 

 

 

 

 

 

Rohinton Mistry:

Das Gleichgewicht der Welt

(engl.: A fine Balance)

 

 

 

 

Durch Zufall lernen sich auf einer Zugfahrt nach Bombay die einfachen Schneider Ishvar und sein Neffe Omphrakash
und der aus gutem Hause stammende Student Maneck kennen. Rasch stellt sich heraus, dass sie das gleiche Ziel
in der grossen Stadt haben, das Haus der Schneiderin
Dina Dalal, bei welcher sich Ishvar und Omphrakash Arbeit erhoffen,
Maneck ein Zimmer zur Untermiete.


Von diesem Zeitpunkt an beginnen sich ihre Schicksalsfäden vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Herkunft
mehr und mehr miteinander zu verweben. Dabei erfährt der Leser nicht nur die ereignisreichen Lebensgeschichten
der vier Hauptcharaktere des Romans, sondern nimmt auch an ihrem Alltagsleben,
ihren Nöten und Ängsten, Sorgen und Freuden teil.


Dies erzählt Rohinton Mistry auf so intensive, mitreissende, lebendige und berührende Art und Weise,
dass man als Leser gar nicht anders kann, als sich emotional in den Strudel der Ereignisse mit
hineinziehen und ins Indien der Jahre zwischen 1975 und 1984 entführen zu lassen.


Innenpolitisch gesehen ist es eine unruhige Zeit, diese erste Amtszeit Indira Gandhis als Premierministerin des Landes.
Ausnahmezustand, Niederschlagung der Opposition, behördliche Willkür, Folter, Zwangsmassnahmen sowie die zunehmende
Beschneidung von Freiheiten und Bürgerrechten prägen das Alltagsleben - und natürlich treffen die Auswirkungen
dieser Zustände vor allem die praktisch entrechteten Angehörigen der unteren Kasten. Eine grausige Berg-
und Talfahrt des Lebens nimmt ihren Lauf, die ihren Protagonisten nichts erspart.

In der Erzählung wird „Das Gleichgewicht der Welt" an einigen Stellen symbolisiert, einmal durch das Schachspiel,
das Maneck von einem Studienfreund geliehen bekommt, ein andermal durch einen Straßenkünstler,
der auf einer langen Stange zwei kleine Kinder balanciert.
Stärkstes Symbol jedoch ist eine Patchwork-Decke, an welcher Dina tagtäglich näht: Jeder der unzähligen,
bunten Flicken erinnert die Protagonisten an ein bestimmtes Ereignis auf ihren miteinander verwobenen
Lebenswegen, sei dieses rückblickend betrachtet nun gut oder schlecht, und lässt
so Freud und Leid, Glück und Unglück zu einem grossen Ganzen verschmelzen.


Fazit:
Ein grossartiges Buch; ein aufwühlendes Buch; ein unbarmherziges Buch – ein Buch wie das Leben selbst.
Keine Seite zu lang, kein Ereignis oder Nebendarsteller zu unbedeutend.
Eine Leseempfehlung nicht nur für Indien-Interessierte.

 

 

 

 

 

 

 

 

David Mitchell:

Der Wolkenatlas

(engl.: Cloud Atlas)

 

 

 

 

Der „Wolkenatlas“ ist eine spannende literarische Reise der besonderen Art:

Angelehnt an den Gedanken an ein musikalisches Sextett für einander sich überschneidende Solostimmen
wird jede der insgesamt sechs Kurzgeschichten von der nachfolgenden Geschichte unterbrochen
beziehungsweise abgelöst, um dann jeweils in umgekehrter Reihenfolge fortgesetzt und zu Ende geführt zu werden.

Klingt kompliziert, ist es aber nicht.
Die sechs Geschichten beschreiben sechs Lebenswege an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten:

Den eines amerikanischen Notars, der um 1850 durch die Südsee reist, eines britischen Komponisten,
der 1931 in Belgien am „Wolkenatlas-Sextett“ arbeitet, einer amerikanischen Journalisten, die in den
80er Jahren einen Atomskandal aufdecken will, eines englischen Verlegers, der von seinem gehörnten
Bruder in die Irre geführt wird, einer geklonten koreanischen Sklavin in der Zukunft, die für das
Recht kämpft, auch ein „Kosument“ ( = Mensch) sein zu dürfen, sowie eines postapokalyptischen
Ziegenhirten, der den Untergang des verbliebenen Rests der Zivilisation miterlebt.

  Trotz der großen Zeitspanne von mehreren Jahrhunderten, unterschiedlicher Erzählstile (Romanform, Tagebuchform,
Briefform, Interview) und verschiedener literarischer Genres (antiquierter Reisebericht, packender Thriller,
düstere Science-Fiction) taucht immer wieder ein Detail auf,
welches die nachfolgende Episode mit der vorigen verbindet.

Doch noch etwas ganz anderes zieht sich wie ein roter Faden durch Mitchells Menschheitsgeschichte und gibt so einiges zu denken:

Die unersättliche Gier des Menschen nach Geld, seine Gier nach Macht und die daraus resultierende Ausbeutung,
Unterdrückung und Ausrottung des jeweils Schwächeren bis hin zum Niedergang der Zivilisation und zur unfreiwilligen
Selbstausrottung. Am Ende ist der Erste zwangsläufig der Letzte …

Einen Lichtblick aber gibt es:

„… « Wer gegen die Hydra der menschlichen Natur kämpft, muss dafür mit unendlichem Leid bezahlen, und seine Familie bezahlt mit ihm!
Erst wenn du deinen letzten Atemzug getan hast, wirst du begreifen, dass dein Leben nicht mehr gewesen ist
als ein Tropfen in einem grenzenlosen Ocean!»

Was aber ist ein Ocean anderes als eine Vielzahl von Tropfen?“

 

 

 

 

 

 

 

 

V.S. Naipaul:

Der mystische Masseur

(engl.: The Mystic Masseur)

 

 

 

 

Die auf Trinidad spielende Geschichte vom gesellschaftlichen Aufstieg eines „kleinen" Mannes namens Ganesh
lebt vor allem von der liebevoll-satirischen Erzählweise, mit welcher es dem Autor gelingt, seinen Figuren
Lebendigkeit zu verleihen, sie menschlich und trotz ihrer Schwächen liebenswert erscheinen zu lassen.
Die für Ganeshs Aufstieg wegbereitenden Kapitel sind „Der mystische Masseur" sowie „Der Presse-Pandit":
In ersterem heilt Ganesh einen kleinen Jungen, der sich von einer schwarzen Wolke verfolgt glaubt.
Allerdings geschieht dies weniger mit Hilfe wirklicher Heilkunst oder gar durch Magie, wie die Bewohner Trinidads
später gerne glauben mögen, sondern einfach durch Ganeshs Einfühlungsvermögen. Sein Ruf als
„mystischer Masseur" gilt danach jedoch als gefestigt.

Im anderen Kapitel konzipiert Ganesh mit drei Gesinnungsgenossen, von denen einer noch ein Junge ist,
eine eigene kleine Zeitung. Hierbei zeigt sich auf humorvolle Art und Weise, wie schwierig der Weg
von der Idee hin zur Realisierung ist - und dass die drei Alten ohne den Jungen wirklich alt aussähen ...
Doch die Zeitung erscheint, wenn auch nur einmalig, und bereitet Ganesh den Weg in die Politik.
Trotz seiner enormen Karriere ist von Anfang an klar, dass Ganesh eigentlich überhaupt nicht
besonders begabt und anfangs auch nicht einmal sonderlich motiviert ist (was ihn sympathisch macht).
Er hat einfach „nur" das Händchen, zur rechten Zeit das richtige zu tun, und gibt niemals auf.

Interessant ist noch eine Nebenfigur, die man von einem andern Roman Naipauls zu kennen meint:
Ganeshs Schulfreund Indarsingh, der aufs College nach England geht und später auf der politischen Bühne
Trinidads wieder auftaucht. Einen nicht nur vom Namen her ähnlichen Schulfreund gibt es auch
in dem Roman „An der Biegung des großen Flusses". Darin heißt dieser schlicht Indar,
hat ebenfalls in England studiert und kehrt gleichfalls später wieder in seine alte Heimat zurück.
Beiden Indars ist zudem gemein, dass ihnen ihr elitär anmutender Bildungsausflug nach England
nicht viel gebracht hat und sie zurück zu Hause die bittere Feststellung machen müssen,
dass sie ihrem ehemaligen Schulkameraden dennoch unterlegen sind.

Ein sehr sympathisches, unterhaltsames und humorvolles Buch.

 

 

 

 

 

 

Jo Nesbo: Die Harry-Hole-Krimireihe

 

 

 

 

Meine letzte Bücher-Entdeckung ist eine Mischung aus Wieder- und Neuentdeckung:
Die Harry Hole – Krimireihe von Jo Nesbø kemme ich schon seit langem, zumal die ersten beiden Bände in Sydney bzw. in Bangkok spielen -
was auch der Grund ist, weshalb ich damals überhaupt auf diese Bücher aufmerksam geworden bin, sind beide Orte bzw. Länder doch auch
nach wie vor für mich persönlich sehr beliebte Reiseziele.
Wie es so geht hatte ich die Fortsetzungen dann irgendwann aus den Augen verloren – und bin nun umso froher, diese Lücke nun
geschlossen zu haben bis zum aktuellen Band 12. Natürlich hab ich nach all den Jahren aber zunächst wieder mit Band 1 zu lesen begonnen –
und war dann in einem regelrechten Lesefieber gefangen, so dass die mir fehlenden Bände schnell nachgekauft und geradezu verschlungen wurden.

Fazit:
Eine wirklich sehr gute, spannend erzählte Krimireihe mit vielen überraschenden Wendungen und einem Protagonisten, mit dem man
richtig gut mitfiebern, zuweilen auch mitleiden kann, denn Harry ist trotz seiner Ermittlungserfolge kein blütenreiner Superheld:
Unter Kollegen gilt er als eigensinnig, besessen, arrogant, reizbar und instabil. Vor allem aber ist er eines: Ein Alkoholiker, der immer wieder in
seine Sucht verfällt und dadurch nicht nur sich und sein persönliches Glück, sondern auch das anderer zerstört. Um seine Fälle zu lösen,
schreckt er vor fast nichts zurück und gefährdet dadurch auch schon mal das Leben Unschuldiger – eine der Facetten seines Charakters,
der im Grunde nur das Gute will: Mordfälle lösen und Mörder unschädlich machen– neben dem Alkohol seine zweite Sucht oder
seine „zweite Geliebte“.

Während seine beiden ersten Fälle noch in Sydney bzw. Bangkok spielen, ist in den folgenden Bänden Oslo Schauplatz der Geschichte,
die Stadt, in der Harry lebt und als Ermittler arbeitet. Zwar stehen die verwickelten, oft blutrünstigen Mordfälle stets im Vordergrund,
doch gewinnt man von Buch zu Buch auch zusehends mehr Einblicke in Harrys Persönlichkeit, seine Lebensumstände und seine
(dritte) große Liebe Rakel, ohne dass dieses Element überhandnimmt.

Mich haben die Fälle jedenfalls ziemlich gefesselt und es fiel mir stets schwer, ein einmal zu Lesen begonnenes Buch wieder
beiseite zu legen, bevor die Auflösung erreicht war. Somit kann ich für diese Reihe nur eine große Lese-Empfehlung abgeben!

Man kann die einzelnen Bücher zwar auch unabhängig von der Reihenfolge lesen, aber dazu würde ich nicht raten -
Hier die Bände in der richtigen Reihenfolge (1997 – 2019):

Band 1: Der Fledermausmann (engl.: The Bat)
Band 2: Kakerlaken (engl.: Cockroaches)
Band 3: Rotkehlchen (engl.: The Redbreast)
Band 4: Die Fährte (engl.: Nemesis)
Band 5: Das fünfte Zeichen (engl.: The Devil's Star)
Band 6: Der Erlöser (engl.: The Redeemer)
Band 7: Schneemann (engl.: The Snowman)
Band 8: Leopard (engl.: The Leopard)
Band 9: Die Larve (engl.: Phantom)
Band 10: Koma (engl.: Police)
Band 11: Durst (engl.: The Thirst)
Band 12: Messer (engl.: Knife)

 

 

 

 

 

 

 

 

Eliot Pattison:

Der fremde Tibeter

(engl.: The Skull Mantra)

 

 

 

 

Eliot Pattisons Debütroman spielt in einem chinesischen Arbeitslager mitten in Tibet.
Unter den Häftlingen – überwiegend Mönche aufgelöster und zerstörter tibetischer Klöster –
befindet sich auch der chinesische Protagonist Shan, einstiger Ermittler in politischen
Korruptionsfällen in Peking. Eines Tages findet seine Brigade während ihrer Arbeit am Bau einer Straße
eine Leiche ohne Kopf. Im Zuge der Ermittlungen wird Shan vom Befehlshaber des Lagers von seiner Arbeit freigestellt
und mit der Aufklärung der Tat beauftragt, bevor eine amerikanische Delegation das Land besucht.
Schon bald wird von offizieller Seite ein Mönch als angeblicher Täter präsentiert - doch Shan, der sich im Zuge
seines Lageraufenthalts mit den Mönchen angefreundet und sich mit ihrer Lebensweise vertraut gemacht hat,
zweifelt an den angeblichen Beweisen und recherchiert weiter …

Anhand dieser Krimihandlung gelingt es Pattison, dem Leser das buddhistische Tibet und die Auswirkungen
der chinesischen Besetzung  nahe zu bringen – teilweise so detailliert, dass man vermuten möchte,
dass dies auch sein Hauptbeweggrund zum Schreiben dieses Buches war, was aber durchaus
nicht negativ zu bewerten ist, da Shans Suche nach dem Mörder, wenn auch im Detail etwas verworren,
durchaus spannend ist und zu einer überraschenden Auflösung führt.
Für den Roman wurde er 2000 mit dem Edgar Allan Poe Award ausgezeichnet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der deutsche Titel ist etwas irreführend, denn zwar geht es in der Rahmenhandlung dieses Romans um die Liebe
zu einer jungen Frau in Genua, aber mehr noch um die Liebe zu der Stadt selbst aus der Sicht eines Neuankömmlings.
Der Originaltitel "La Superba" ("die Stolze") trifft es da einerseits etwas genauer, denn "La Superba" ist Genuas Beiname,
andererseits kann damit aber auch gleichsam wieder besagtes Mädchen gemeint sein.

Der Ich-Erzähler und Neuankömmling ist der Autor selbst bzw. dessen alter Ego.
Frisch in seiner neuen Wahlheimat angekommen lässt er sich zu jeder Tages- und Nachtzeit durch die Altstadtgassen treiben,
verbringt Tage und Nächte in Cafés und Bars.
Durch die Beobachtung der Menschen und dem Leben um sich herum lernt er die Stadt und ihre Bewohner
kennen und lieben und macht dabei zahlreiche, teilweise auch etwas skurrile Bekanntschaften, u.a. natürlich mit dem
für ihn schönsten Mädchen von Genua, einer Kellnerin in einem seiner Stammlokale, aber auch mit Raschid, dem aus
Marokko geflüchteten Rosenverkäufer, der zu intelligent zum Rosenverkaufen ist, einem englischen Säufer und
Geschichtenerzähler, einer Kartenleserin, einem Transvestiten, einem Geisterbeschwörer, sogar mit einer
Geistererscheinung, und mit Djibi, einem Flüchtling aus dem Senegal.

Gerade am Beispiel der afrikanischen Flüchtlinge wird deutlich, wie sehr sich die Beweggründe für eine
Flucht oder Auswanderung schon immer geglichen haben - und wie gegensätzlich dazu die Motivation des Protagonisten
war, seiner niederländischen Heimat den Rücken zu kehren. Am anschaulichsten in diesem Kontext ist das Kapitel,
das allein Djibi und seiner Flucht aus dem Senegal gewidmet ist.

Je tiefer der Erzähler in seine neue Welt vordringt, desto mehr verliert er sich auf seinen einsamen Streifzügen
nicht nur im Labyrinth der Altstadtgassen, sondern auch in seiner Phantasie, so dass manchmal weder er noch der
Leser genau zwischen dieser und der Realität zu unterscheiden vermag ...

Neben Djibis Geschichte gefällt mir insbesondere die Episode um den geplanten Kauf eines
kleinen Theaters in der Altstadt.
Und doch ... ein paar Punkte gibt es dennoch, die einen Schatten auf das Ganze werfen:
So zum Beispiel das Kapitel um den Säufer Don. Das war für mich äußerst uninteressant und überflüssig - ich habe es zunächst
quasi übersprungen und am Schluss erst gelesen. Fazit: Darauf hätte verzichtet werden können.
Ebenso die Tatsache, dass der Autor sich insgesamt in zu viele Themen verliert und dazu alles gerne noch mit seiner
eigenen Meinung garniert. Dies ist zwar meist unterhaltsam geschrieben, aber stellenweise wird es dann doch zu viel
und die Anekdote bzw. die Phantasien um ein amputiertes Bein sind nicht nur sehr schräg und bizarr, sondern völlig daneben.
Auch wenn es um Sex und um seine Gedanken in Bezug auf Frauen geht fragt man sich teilweise schon, was das soll,
zumal sich bei Ersterem vorzugsweise einer recht ordinäreren Sprache bedient wird.
Man kann nur hoffen, dass der Protagonist wirklich nur eine Romanfigur bzw. ein Alter Ego ist und nicht der Autor selbst ...;-)

Warum ich das Buch trotzdem gern gelesen habe?
Tja, es ist wohl die Liebe des Autors zum Erzählen und Fabulieren, das macht er nämlich wirklich ausgesprochen gut.
Vor allem auch lesenswert für Genua Kenner oder –Interessierte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Grand Hotel Europa" ist ein komplexer Roman, dessen Haupterzählfaden der Rückblick auf eine Liebesgeschichte ist,
die gespickt ist mit Gedanken zur Lage Europas zwischen Vergangenheit und Zukunft, zu Flüchtlings- und
Tourismusströmen und zum Thema Reisen und Tourismus an sich.

Erzählt wird die Geschichte eines alternden Schriftstellers, Ilja Leonard Pfeijffer bzw. dessen Alter Ego,
der sich auf unbestimmte Zeit in das einst mondäne, mittlerweile jedoch etwas heruntergekommene
"Grand Hotel Europa" (als Sinnbild des Kontinents) einmietet, um dort sowohl emotional als auch literarisch das Ende
einer Liebesbeziehung aufzuarbeiten.
Hier trifft er u.a. auf den jungen, afrikanischen Hotelpagen Abdul, der nicht gerne über Vergangenheit spricht
und seine eigene lieber vergessen möchte. Für ihn als ehemaligen Flüchtling ist die Zukunft wichtiger.
Ebenso für den neuen chinesischen Investor, der das Grand Hotel Europa aufgekauft hat und nun zukunftsfit machen will,
sprich: Attraktiv für Touristen. Diese Zielgruppe wiederum kommt wegen Europas großartiger Vergangenheit.
Und was macht Europa zwischen erdrückender Vergangenheit und ungewisser Zukunft? - Es vermarktet seine Vergangenheit
wie eine Museums-Attraktion, der Massentourismus und die Zerstörung des Authentischen beginnt.

In einer Mischung aus romanhaftem Erzählen, wohl ausformulierten Dialogen und essayartigen Passagen widmet Pfeijffer
sich stilvoll und intellektuell den o.g. Themen wie in einem ins 21. Jahrhundert katapultierten "Zauberberg".
Interessant, gerade für Liebhaber des Reisens, sind die Beschreibungen und Gedanken zum Themenkomplex Urlaub/Reisen/Tourismus.
Auch wenn ich nicht allen Thesen diesbezüglich zustimmen kann (oder vielleicht gerade deswegen) bieten diese doch
reichhaltig Diskussionsstoff. Zur Veranschaulichung seien hier kurz zwei Beispiele exemplarisch zitiert,
ohne dass ich diese jetzt kommentiere:

<<..."Eines muss man bei Reisen, so wie wir sie machen, unbedingt ablegen, und das ist: zu urteilen ...">> (S. 214),
sagt zum Beispiel ein Weltreisender im Zusammenhang mit einem krassen Erlebnis in Pakistan.

**

<<"Glauben Sie, dass Reisen den Horizont erweitert?"
"Ich glaube, dass Nachdenken den Horizont erweitert."
"Hilft Reisen beim Nachdenken?"
"Wohl ähnlich, wie eine Flucht bei der Lösung von Problemen hilft ..." ... (S. 234)
... "Ich kann nur meine Überzeugung wiederholen, dass Nachdenken den Horizont erweitert, während das Reisen
das Nachdenken eher behindert als anregt.
"...>> (S. 238)

**

Dabei verstrickt sich der Ich-Erzähler augenzwinkernd auch selbst in Kontroversen, z.B. als er (auf S. 278) nach seinem
peinlichen Besuch eines Slum-Viertels in Skopje zu dem Schluss gelangt: "Ich musste endlich damit aufhören, ein
Anstoß erregender Tourist zu sein, und wieder dazu übergehen, an den Touristen Abstoß zu nehmen. Ich musste endlich nach Hause
."
Nicht viele Buchseiten weiter (S. 305) macht er sich darüber Gedanken, dass er für die Verlängerung seiner Goldkarte von
Alitalia dringend weitere Flugmeilen benötigt.

Als konkrete Beispiele einer völligen Auslieferung an den Tourismus, einhergehend mit dem Verlust der eigenen Identität,
werden vor allem Venedig, aber auch Amsterdam, Giethoorn und Cinque Terre beschrieben, die zunehmend ihre eigene
Bevölkerung verlieren und zum Freilichtmuseum bzw. touristischen Freizeitpark mutieren.

Ach ja, und dann ist ja auch noch die Liebesgeschichte, auf die der Schriftsteller im Grand Hotel Europa zurückblickt,
die im wenn schon noch nicht in der Lagune, dafür aber längst im Massentourismus ertrunkenen Venedig spielt.
Doch auch hier geht es nicht nur um seine Liebe zur Kunsthistorikerin Clio, sondern auch um die Liebe zur Geschichte
und zur Kunst, und ja - Sex darf natürlich auch nicht fehlen. Hätte zwar im Kontext des Romans nicht bzw. nicht in
dieser Deutlichkeit sein müssen, aber das kann nur der Autor selbst beantworten.
Wenn dies seine Fantasien sind, hm .... ;-)

Letztendlich laufen am Ende alle Fäden zusammen und ich kann nur sagen:
Ein sehr gekonnt erzählter Roman mit vielen schönen und intelligenten Formulierungen und etlichen
Denk- und Diskussionsanstößen, die in all ihrer Ernsthaftigkeit immer wieder von einem aufblitzenden genialen Humor, einem
Augenzwinkern und einer guten Portion Selbstironie durchbrochen werden.
Von mir eine absolute Lese-Empfehlung!


 

 

 

 

 

 

 

Falko A. Rademacher:

Köln für Imis

 

 
 

 

Bei der Lektüre dieser Köln-Satire mussten wir immer wieder das Buch beiseite legen und einfach loslachen.
Wer die Stadt kennt, weiss, warum. Mit viel Humor und Wortwitz gelingt es Rademacher, die weniger schönen
und skurrilen Seiten der Stadt und ihrer Bewohner beim Namen zu nennen, ohne diese dabei zu denunzieren.
Die Bandbreite der Themen reicht dabei von „der großen Bahnhofskapelle“ (Kölner Dom) über die
„schääl Sick“ bis zum Verhältnis zu Düsseldorf - und natürlich sind auch Klüngel, Kölsch und Karneval
mit von der Partie. Quasi ein „Muss“ für alle (Neu-) Kölner.

 

 

 

 

 

 

 

Vikas Swarup:

Rupien! Rupien!

(engl.: Q & A;

Slumdog Millionaire)

 

 

 

 

Der Roman beginnt mit der Festnahme des Protagonisten und Ich-Erzählers Ram Mohammed Thomas, nachdem er in einer
indischen „Wer-wird-Millionär“-Show im Fernsehen eine Milliarde Rupien gewonnen hat, da keiner glauben will,
dass ein ehemaliger Straßenjunge solch schwierige Fragen richtig beantworten kann, ohne dass ein Trick dahinter steckt.
Überraschenderweise erklärt sich eine Anwältin zu Rams Verteidigung bereit, nimmt ihn mit zu sich nach Hause
und lässt sich von ihm erzählen, wie es dazu kam, dass er tatsächlich auf jede der Fragen die richtige Antwort wusste.
So erfährt man in den folgenden Kapiteln rückblickend Rams mal heitere, mal traurige Lebensgeschichte,
allerdings nicht chronologisch, sondern in genau der Reihenfolge, in welcher ihm die Fragen im Verlauf
der Quizsendung gestellt wurden. Diese Erzählweise erfordert zwar etwas Nachdenken beim Lesen,
um jede Lebensepisode richtig einzusortieren, macht die Geschichte aber originell und spannend.
Darüber hinaus erfährt man auch einiges über Indien.

Der Roman wurde übrigens unter dem Titel „Slumdog Millionaire“ verfilmt
und 2009 mit acht Oscars ausgezeichnet.

 

 

 

 

 

 

J.R.R. Tolkien:

Der kleine Hobbit

&

Der Herr der Ringe

(engl.: "The Hobbit" &

"Lord of the Rings")

 

 

 

Zwei Reisen, die hier nicht fehlen dürfen, sind die von Bilbo Beutlin aus dem "kleinen Hobbit"
und der Gefährten aus der "Herr der Ringe"-Trilogie.

Beide Werke Tolkins kennen und lieben wir seit langer Zeit und wir sind auch große Fans der Verfilmungen von Peter Jackson.
Wer lediglich die Filme kennt, sollte wirklich auch mal die ihnen zugrundeliegenden Bücher von J.R.R. Tolkien lesen.
Keine Frage - die Filme sind super und Peter Jackson hat die Geschichten sehr gut zusammengefasst bzw. im Hobbit auch ergänzt.
Dennoch beinhalten die Bücher noch einiges mehr an Ereignissen, Stimmungen, Charkteren und Hintergründen, vor allem im "Herr der Ringe",
und sind sehr anschaulich, spannend und schön geschrieben - erst das Lesen entführt einen wirklich
auf die großen Reisen durch Mittelerde.

Auf Inhaltsangaben sei hier verzichtet. Wer die Geschichten noch nicht kennt, sollte besser erst lesen,
aber letztendlich ist die Reihenfolge egal.
Für uns beides Meisterwerke.

 

 

 

 

 

 

 

von Westphalen, Joseph:

Im diplomatischen Dienst

 

 

 

 

 

Der Protagonist Harry von Duckwitz wird aus Faulheit Diplomat und liebt es, überall zu provozieren und anzuecken,
sei es in Kamerun, Ecuador oder in der Eifel. Seine zweite Leidenschaft gilt den Frauen,
wobei es ihm stets schwer fällt, sich auf eine einzige zu beschränken.
Damit bringt er gehörigen Schwung in den sonst eher biederen diplomatischen Dienst, was natürlich nicht
überall gleich gut ankommt ...

Die im Buch erwähnten politischen Ereignisse (Tschernobyl, Hauptstadtdebatte, Mauerfall) sind inzwischen
natürlich längst passé, dennoch sind die ironischen Betrachtungen von Duckwitz amüsant zu lesen.
Die Fortsetzung ist unter dem Titel "Das schöne Leben" erschienen, ist jedoch in Bezug auf Frauen
und Zeitgeist-Kritik auf Dauer zu sehr übertrieben und nicht mehr up-to-date,
Stichwort: "Alter-weißer-Mann-Fantasien" (*seufz*).

 

 

 

 

Wackwitz, Stephan:

 Walkers Gleichung

 

 

 

 

 

Ein wenig erinnern die Rahmenbedingungen zu „Walkers Gleichung" an einen gewissen Harry Duckwitz
(Joseph v. Westphalen: „Im diplomatischen Dienst"): Tropische Kulisse, Botschaftsmilieu und ein
„schräger Vogel" als Protagonist, dem seine Frauengeschichten wichtiger sind
als sein Botschaftsjob. Allerdings ist die Geschichte des Siegmund Walker weitaus genialer:

Selbst nicht Diplomat, sondern lediglich Referent einer Stiftung, der an der deutschen Botschaft
eines Tropenstaates Schreib- und Zuarbeiten erledigt, geht Walker privat gerne seinen
schriftstellerischen Ambitionen nach, indem er Essays für deutsche Zeitungen schreibt - gleichwohl
er sich schmerzlich bewusst ist, dass der Essayist als solcher in der breiten Öffentlichkeit, sprich:
Vor allem bei den Frauen (die seine zweite Leidenschaft sind) nur wenig gilt und im Vergleich zu der des Romanschreibers
nie so recht ernst genommen wird. So geschieht es, dass er, um bei seiner Angebeteten Juliana landen zu können,
vorgibt, an einem Roman zu schreiben - und zwar über die Auslandsdeutschen der tropischen Inselhauptstadt,
also seine Vorgesetzten, Kollegen, Freunde, Bekannten, etc. Diese Äußerung kommt zwar wunschgemäß bei den Frauen
sehr gut an, in anderen Kreisen jedoch ist man wenig begeistert von Walkers Ansinnen, „… die Verbindungen zwischen
wirtschaftlicher, politischer und kultureller Macht, ... die Mischung aus Erotik, Korruption und Verbrechen …" nicht
nur als Fiktion, sondern als lebendigen Lebenshintergrund darzustellen. Darüber hinaus sorgt ein fremdenfeindlicher Übergriff
im fernen Deutschland für politischen Aufruhr und führt dazu, dass Walker zum Sonderbeauftragten für eine kurzfristig
angesetzte multikulturelle deutschtropische Kulturwoche ernannt wird, die das Ansehen Deutschlands im Ausland wieder
gerade rücken soll. Die Frage, die sich bei alldem stellt, ist, ob und wie am Ende Walkers Gleichung mit mehreren
Unbekannten aufgeht und was am Schluss für ihn übrig bleibt.

Stephan Wackwitz beschreibt mit viel Ironie und Humor einen illustren Kreis von Auslandsdeutschen („… nach heimischen Maßstäben
komfortabel gescheiterte Existenzen
. [...] mit zu Hause wertlosen Doktortiteln ..."), in dem die Maxime
„Nichtstun und Doch-irgendwie-etwas-Sein" zu gelten scheint, und den deutschen Kulturbetrieb an sich.
Dabei können die ineinander verschachtelten Sätze gut und gern auch mal eine halbe Seite lang werden, was das Lesen
stellenweise etwas anstrengend macht. Langeweile aber kommt an keiner Stelle auf - im Gegenteil:
„Walkers Gleichung" ist eine geniale, spannende und witzige Satire.

 

 

 

 

Yousafzai, Malala:

 Ich bin Malala /

I Am Malala

 

 

 

Es geschah am 9. Oktober 2012, als einige Taliban in Malalas Heimatdorf in Pakistan ihren Schulbus anhielten,
das Feuer eröffneten und die damals 15-Jährige gezielt in Kopf und Hals schossen.
Motiv der Mörder war Malalas Engagement für gleiche Rechte für Mädchen und Frauen, insbesondere was deren
schulische Bildung betrifft. Wie durch ein Wunder überlebte Malala schwer verletzt, musste in ein
Militärkrankenhaus überführt und operiert werden und wurde dank des Einsatzes einer britischen Ärztin zur
weiteren Behandlung und zu ihrer Sicherheit nach England ausgeflogen, wo sie heute noch immer
mit ihrer Familie lebt und inzwischen verheiratet ist.

Dies ist ihre Geschichte. Die Geschichte eines Mädchens, das 1997 in einfachen Verhältnissen im Swat-Tal im
Nordwesten Pakistans geboren wurde. Wie schon ihr Vater, der sich in seiner Eigenschaft als Lehrer für
die Bildungsrechte von Mädchen einsetzte, trat auch Malala schon in frühen Jahren engagiert und
mutig für das Recht auf Bildung für Mädchen und Frauen ein. Dies gefiel freilich nicht allen,
schon gar nicht den rückständigen Taliban … Rückblickend erzählt sie aus ihrem noch jungen Leben, aber
auch von der Geschichte Pakistans und ihrer geliebten Heimat, dem Swat-Tal.
Ein beeindruckendes Buch eines intelligenten, freiheitsliebenden und überaus mutigen Mädchens!

Zusatz-Info:
Dieses Buch erschien im Jahr 2013 und wurde ein Welterfolg. Noch im selben Jahr hielt Malala eine
beeindruckende Rede vor den Vereinten Nationen und wurde von Barack Obama im weißen Haus empfangen.
2014 wurde ihr im Alter von 17 Jahren der Friedensnobelpreis verliehen, was sie zur jüngsten
Preisträgerin in der Geschichte des Nobelpreises und zur mit Abstand jüngsten in der
Geschichte des Friedensnobelpreises machte.

 

 

 

 

 

 

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