Buchtipps aus aller Welt

 

 

 

 

 

 

Hans Schaarwächter

Reise des Seepferdchens

von ihm selbst erzählt

 

 

 

Ich habe einen Schatz gefunden! Ein Kleinod! Ganz unverhofft in einem öffentlichen Bücherschrank am Rhein, an dem ich an fast jedem Arbeitstag in der Mittagspause vorbeispaziere und immer neugierig hineinspähe, jedoch selten wirklich etwas von Interesse darin vorfinde. Doch diesmal erwartete mich darin eine freudige Überraschung, ein Kuriosum schon vom Titel her, welcher mir direkt ins Auge fiel: „Reise des Seepferdchens". Und anstelle der Nennung eines Autors stand darunter „von ihm selbst erzählt". Hm. Meine Neugier war geweckt.

Ich nahm das grüne, großformatige Taschenbuch mit einer überdimensionalen Seepferdchenzeichnung auf dem Cover heraus, überflog die Inhaltsangabe auf dem Buchrücken - auf welchem dann doch Foto, Name und Kurzbeschreibung des Verfassers Hans Schaarwächter prangten - und klappte schliesslich das Buch auf: Innen keine Angaben zu einem bekannten Verlag, zu Auflage oder Erscheinungsjahr, „Illustrationen: Das Seepferdchen", „Seepferdchenstudio". - Aha, wohl ein im Selbstverlag gedrucktes Werk, interessant. Darin lag ein dem Buch zugehöriges, kleines Lesezeichen aus durchsichtiger Plastikfolie, auf welchem ebenfalls das Abbild des Seepferdchens samt Buchtitel prangte. Hübsche Idee.

So reiste das Seepferdchen also nun zu mir nach Hause, wo ich gespannt seinen Reisebericht zu lesen begann.

Die Inhaltsangabe auf dem Buchrücken bringt es bereits auf den Punkt: „Dieses Buch fällt aus dem Rahmen":

Auf unerklärliche, märchenhafte Weise finden der menschliche Protagonist Poul und ein namenloses Seepferdchen zusammen und begeben sich gemeinsam auf eine einjährige Weltreise - jedoch nicht zu Wasser, wie man es von einem Seepferdchen „erwarten" würde, sondern auf ganz menschlich-herkömmliche Weise per Flugzeug.

Aus den tiefen Tangwäldern des Mittelmeeres gelangt das Seepferdchen so auf wundersame Weise in die Pilzwälder der Wolkenkratzer, in zahllose Hotels, Restaurants, Museen, Theater und Schauplätze der Welt, angefangen von Lissabon über Südamerika, Westafrika, Madagaskar, Iran, Indien, Bangkok, Hongkong, Japan und Alaska, insgesamt in 33 Länder, stets nach der Devise „überall ankommen wie ein Kind", sehen, erleben, staunen.

Natürlich kann das Seepferdchen, oder „Mademoiselle Hippocampe" (lat. von Hippocampus = Seepferdchen), wie Poul seine winzige Reisegefährtin nennt, auch sprechen – nicht zuletzt hat es ja den Reisebericht geschrieben! – und das nicht nur mit Poul, sondern auch mit anderen Menschen, die ihnen unterwegs begegnen und für solch eine Kuriosität empfänglich sind. Dabei neigt das Seepferdchen durchaus gerne zu Ironie und Kritik an den Menschen und beweist dadurch seine Intelligenz (vgl. Hippocampus = Teil des menschlichen Gehirns).

Die Dialoge zwischen den beiden klingen oftmals etwas altmodisch, teilweise gespickt mit inzwischen so nicht mehr im allgemeinen Sprachgebrauch genutzten Wörtern. Dies mag wohl daran liegen, dass das Buch lt. Internetrecherche im Jahr 1983 erschienen ist und der Autor im darauf folgenden Jahr im hohen Alter verstarb. Man kann also nur mutmaßen, wann es geschrieben wurde, falls dies überhaupt „in einem Rutsch" geschah oder eher über einen längeren Zeitraum hinweg.

Wie dem auch sei – ich empfinde es als ein ganz grossartiges, süsses, liebevolles und wunderbar „anderes" Reisebuch für alle, die die weite Welt lieben und sich immer auch für die Menschen, ihre Kultur, ihren Glauben und das „Alltägliche in der Fremde" interessieren.

Zu kaufen gibt es dieses Buch wohl leider nur noch vereinzelt auf eBay oder in Buchantiquariaten – oder vielleicht in einem öffentlichen Bücherschrank. Dieses Exemplar, was ich nun in Händen halte, wird jedenfalls hier bleiben – und wer weiss, vielleicht wird das Seepferdchen fortan mit mir reisen. ;-)

 

 

 

 

Ayelet Gundar-Goshen:

 Löwen wecken

 

 

 

 

 

Ein Arzt überfährt eines Nachts aus Versehen einen illegalen Einwanderer aus Eritrea. Da es keine Zeugen zu geben scheint und der Mann
wahrscheinlich ohnehin sterben wird, meldet Etan den Unfall nicht, um sich Ärger zu ersparen und seine ohnehin
bereits angeknackste Karriere nicht endgültig aufs Spiel zu setzen.
Doch am nächsten Tag klopft es an der Haustür und die Frau des Opfers steht vor ihm. Für ihr Schweigen verlangt sie eine Gegenleistung,
die Etan dazu zwingt, fortan ein Doppelleben zu führen und seine Ehefrau Liat, die als Kripobeamtin mit dem Unfalltod des illegalen „Infiltranten“ betraut wird,
von nun an zu belügen …

In der Folge entwickelt sich eine vielschichtige und spannende Handlung um Hass und Liebe, Schuld und Moral, die so einige Fragen aufwirft,
wie z.B. Was ist ein Menschenleben wert? Ist das Leben eines illegalen Flüchtlings weniger wert als das eigene? Wie lässt sich eine Tat büßen?
War das Opfer zugleich auch Täter und wenn ja, was ändert das? Wie viele Lügen erträgt die Liebe bzw. erträgt man selbst?

Die Geschichte spielt in Be’er Scheva, einer Stadt im Süden Israels am Rande der Wüste Negev, könnte aber vom Prinzip her -
und von einigen Besonderheiten abgesehen (z.B. der offiziell benutzten Bezeichnung „Infiltranten“ für Flüchtlinge aus Eritrea, Sudan etc.,
die mir beim Lesen immer wieder aufgestoßen ist) - genauso gut in Europa oder anderswo auf der Welt spielen.

Manche Rezensenten werfen der Autorin eine stellenweise „derbe Sprache“ und die Nutzung zu vieler Vergleiche vor.
Ich kann dazu nur sagen: Das Leben ist derb, die Sprache gibt dies lediglich wieder.
Ich verstehe auch nicht ganz, wer sich heutzutage noch an einem „F“-Wort o.ä. stört - willkommen im wahren Leben!
Und die bildhaften Vergleiche gefallen mir gerade, z.B. auf Seite 72:
„… Er hätte sich schuldig fühlen müssen, aber seine Schuld welkte, gleich einer Blume, die nur einen Tag blühte, angesichts dieser dreisten Erpressung …“
Oder auf Seite 272: „..Die Lüge hatte sich, wie ein anfangs kratzender Wollpullover, eingetragen. Er fühlte sich wohl darin…“
Auch viele andere Formulierungen finde ich ausserdordentlich gelungen, auch ohne dass ich jetzt mit Zitaten um mich werfe.
Obwohl ich das Buch erst wenige Jahre habe, habe ich es glaube ich jedes Jahr gelesen, könnte also zum Dauerbrenner à la „Unter dem Tagmond“ für mich avancieren.
Auf jeden Fall eine wärmste Lese-Empfehlung meinerseits!

 

 

 

Anthony Bourdain:

 Ein Küchenchef reist um die Welt

(engl.: A Cook's Tour. In Search of the perfect meal)

 

 

 

 

Kurzweiliges, kulinarisches Reisebuch

Dieses Buch hat uns besonders gefallen, da es zwei unserer großen Leidenschaften zusammenbringt: Reisen & Essen. Anthony Bourdain berichtet in einem locker-lustigen bis zynischem Stil von seiner kulinarische Reise um die halbe Welt (darunter Vietnam, Kambodscha, Frankreich, Portugal, ...), überall auf der Suche nach der "perfekten" Mahlzeit. Am besten gefallen hat ihm dabei offensichtlich Vietnam, dem er ganze vier Kapitel seines Buches widmet, auch wenn sein Fazit letztendlich lautet, dass es "die" perfekte Mahlzeit gar nicht gibt, dass sie immer wieder völlig unerwartet in einer anderen "Verkleidung" daherkommen kann.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Cullen:

Der Fahrplan ist die Speisekarte

(engl.: Cook's Tour. A Haphazard Journey from Guanghzou to Dublin and Back Again)

 

 

 

 
Der Weg ist das Ziel

Der in Australien lebende Koch Paul Cullen beschließt, zusammen mit seiner Frau und seinen drei Töchtern in sein Heimatland Irland zu reisen - doch nicht etwa mit dem Flugzeug, sondern von Hongkong aus auf dem Landweg per Eisenbahn. So führt die abenteuerliche Reise der Familie durch China, Kasachstan, Usbekistan, Russland und Europa. In seinem Reisebericht erzählt er mit viel Humor und Offenheit gegenüber fremden Kulturen von seinen Eindrücken und Erlebnissen, von überfüllten Zügen, unwirschem Hotelpersonal, Begegnungen mit Menschen, den Problemen der Verständigung und den Tücken des Fahrkartenkaufs. Zwischendurch beschreibt er immer wieder unterschiedlichste Speisen, die er mit seiner Familie in kleinen Garküchen, Bäckereien oder auf bunten Märkten verzehrte, von denen nicht alle unbedingt als Genuss empfunden wurden ...

Wenn auch nicht mehr ganz neu (die Reise fand 1993 statt) liest sich dieser Reisebericht wie ein spannender Roman, der immer wieder zum Lachen anregt. Dazu gibt es einige Farbfotos von der Reise - leider aber nur eine einzige Karte der Route, der einzige kleine Wermutstropfen, alles in allem jedoch ein schönes, interessantes und humorvolles Buch über das Reisen!

 

 

 

 

Katharina Hagena:

 Das Geräusch des Lichts

 

 

 

 

 

 

 

 
Da mir der Roman „Der Geschmack von Apfelkernen“ der Autorin so gut gefallen hatte, war ich nun gespannt auf diesen.

Die Handlung:

Fünf Menschen sitzen im Wartezimmer eines Nervenarztes, darunter eine Frau, die sich das Warten dadurch verkürzt,
dass sie in ihrem Kopf die Lebensgeschichten der Mitwartenden erfindet, auch ihre eigene, und diese geschickt
und fantasievoll miteinander verwebt.

Da ist zum Beispiel die Moosforscherin Daphne, die in Yellowknife in Kanada nicht nur nach Moosarten sucht,
sondern auch nach ihrer verschollenen Forschungskollegin, die auf der Suche nach winzigen Bärtierchen war;

Oder der Musiker, der für seine verstorbene Frau, die in Kanada ein vor ihm verborgenes Leben als
Klangkünstlerin geführt hatte, in Yellowknife auf das Geräusch des Nordlichts wartet;

Und im zentralen Teil des Romans der Junge, der sich zur Verarbeitung des tragischen Todes seiner Mutter und
seiner Halbschwester eine phantastische Erklärung um deren Flucht zum Planeten Tschu ausgedacht hat,
welche er zum Leidwesen seines Vaters hartnäckig verfolgt.

Dabei taucht immer wieder ein Element auf, das die eine Geschichte mit der anderen verbindet – ein kleiner
Faden, wie die winzigen Rhizome eines Mooses.
Was alle Geschichten verbindet ist Kanada, das Nordlicht, der Verlust eines oder mehrerer Menschen (stets Frauen),
Autounglücke im weitesten Sinne. Klingt vielleicht alles etwas merkwürdig. Ist es auch. Aber die Geschichten
sind wunderbar und fesselnd erzählt, so schön formuliert, mit intelligenten Wortspielereien gespickt und mit
so viel Fantasie geschrieben, dass man einfach immer weiterlesen möchte (zumindest ich).
Am besten gefällt mir die traurige und doch auch erheiternde Geschichte des Jungen und seine Theorie über die Flucht
seiner Mutter und seiner Halbschwester zum imaginären Planeten Tschu. In jedem Kanaldeckel, hinter jeder Art von
Gitter wittert er einen Weg zu dem geheimnisvollen Planeten. Die Suche nach den beiden führt ihn und seinen
Vater über Berlin und New York bis nach – Yellowknife, Kanada. Natürlich. ;-)

 

 

 
 

Katharina Hagena:

 Der Geschmack von Apfelkernen

 

 

 
 

 

Familienromane sind eigentlich weniger mein Ding – in diesem Fall aber schon, zumal es sich hier nicht um eine dicke Saga handelt,
sondern um eine „schlanke“ Erzählung! Vielleicht ist die Bezeichnung „Familienroman“ hier auch irreführend, denn vielmehr
geht es in diesem Roman auch um das Sich-Erinnern und das Vergessen - und die eine oder andere kleine Liebesgeschichte
ist auch noch dabei. Vor allem gefällt mir der ruhige Erzählstil bzw. wie es der Autorin gelingt, immer wieder schöne Vergleiche
und Formulierungen zu finden.

Zur Handlung:

Iris ist zur Beerdigung ihrer Großmutter Bertha in das norddeutsche Heimatdorf ihrer Mutter gereist. Hier hat sie einst als Kind
zahlreiche unvergessliche Sommer zusammen mit ihren Großeltern und Tanten, ihrer Cousine Rosmarie und deren Freundin Mira verbracht.
Bei der Testamentsverkündigung ist Iris überrascht, dass die Großmutter ausgerechnet ihr, der einzigen noch lebenden Enkeltochter,
das alte Haus vererbt hat. Um in Ruhe zu überlegen, was sie mit diesem Erbe anfangen soll, nimmt sie sich ein paar Urlaubstage
mehr als geplant und zieht in das Haus, stöbert durch die altbekannten Zimmer, den verwilderten Garten, schwimmt wie einst im Moorsee
und wirft sich in die schicken Kleider ihrer Mutter und Tanten aus den alten Kleidertruhen. Von ihren Erinnerungen getragen wird sie
zur gedanklichen Zeitreisenden zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die immer wieder auf Lücken und ihr eigenes Vergessen stößt.
Was war damals im Krieg mit Großvater Hinnerk? Warum ist Berthas Schwester Anna an Lungenentzündung gestorben?
Welches Geheimnis hat Bertha bis zuletzt bewahrt? Wer hat welche Apfelsorte am liebsten gegessen? Wie kam es zu Rosmaries
tragischem Tod und was ist aus Mira und ihrem jüngerem Bruder Max geworden?
Zumindest letztere Frage klärt sich schnell: Er ist Anwalt geworden und mit Berthas Erbschaftsangelegenheit betraut.
Und eigentlich ist er auch gar nicht mehr "die kleine Niete" aus Iris‘ Erinnerung …

Ich habe dieses Buch bereits mehrmals super gern gelesen – es liegt wohl wie eingangs erwähnt einfach an der schönen Art, wie es
geschrieben ist. Ich hab mich einfach wohlgefühlt in dieser Geschichte – oder eigentlich in den vielen kleinen Geschichten
dieser drei Familiengenerationen.
Und eigentlich ist es auch leicht zu lesen - aber ich muss gestehen: Mit den Namen und Verwandtschaftsbeziehungen tat ich mich
schwer, darum habe ich mir selbst einen Stammbaum aufgezeichnet, der mir beim Lesen eine gute Hilfe war. ;-)
Ok, das Ende … vorhersehbar, aber egal. Ich les wohl sonst zu viele Bücher mit offenem oder weniger gutem Ende, so dass ich
ein Happy End gar nicht mehr gewohnt bin. :-D


 

 

 

 

 

 

Werner Köhler:

 Cookys

 

 

 

Die rückblickend erzählte Geschichte des Ich-Erzählers Gerd Krüger alias Cooky beschreibt anschaulich und stimmungsvoll dessen Entwicklung vom naiven Jungen vom Land über den unsicheren Jugendlichen bis hin zum jungen, erfolgreichen Leiter des Spitzenrestaurants „Cooky's". Dabei zieht sich die Leidenschaft für das Kochen wie ein roter Faden durch sein Leben. Während er sein Kochtalent in jungen Jahren zunächst vor allem als Mittel einsetzt, um Frauen für sich zu gewinnen (um dadurch seine Unsicherheit im Ungang mit ihnen zu kaschieren), verhilft ihm dieses später zu seinem beruflichen Erfolg.

Die hauptsächlich in Aachen spielende Erzählung beginnt vor dem Hintergrund, dass das Restaurant inzwischen zwar ordentlich boomt, es in Cookys privatem Bereich, sprich: in Bezug auf Frauen, zu seinem Leidwesen jedoch seit geraumer Zeit eher mau aussieht - ein Manko, dass er durch die nahezu ausschließliche Konzentration auf seine Arbeit auszugleichen versucht. Jäh aus seinem Trott heraus gerissen wird er durch ein denkbar trauriges Ereignis: Den plötzlichen Tod eines guten Freundes. Im Lauf der darauf folgenden Rückblenden in die 70er- und 80er-Jahre erfährt der Leser anhand Cookys persönlicher Erinnerungen nicht nur von dessen Entwicklung hin zu dem Menschen, der er jetzt ist, sondern auch mehr über die Person des Verstorbenen und den Hintergründen, die zu dessen Tod führten, sowie über die damaligen Schulfreunde, die durch das Restaurant noch bis in die Gegenwart miteinander verbunden sind. Dazwischen wird stets viel und lecker gekocht, so dass man beim Lesen geradezu Appetit auf Cookys Gerichte bekommt.

Ein sehr schönes, stellenweise auch trauriges Buch über das Jungsein, die Liebe, Freundschaft und Zusammenhalt.

 

 

 

 

 

 

    Volker Kutscher:
Die Gereon-Rath-Krimireihe

 

 

 

 

 

Erst durch die TV-Serie „Babylon Berlin“, die ich sehr verspätet für mich entdeckt habe,
bin ich auf die zugrundeliegende Krimi-Buchreihe von Volker Kutscher gestoßen. Tja, und was dann passierte, hatte ich noch nie:
In Windeseile habe ich mich durch die acht (!) Bände gelesen (und inzwischen auch den neuen 9. Band),
konnte kaum aufhören, da der Spannungsbogen zwischen den Kapiteln
nie abreisst und sich die komplexen Handlungsstränge immer wieder in überraschende Richtungen entwickeln.

Da ich die 3 Serien-Staffeln ja bereits kannte, überraschte mich der erste Band "Der nasse Fisch" vor allem dahingehend, dass er in vielem
sehr anders ist als die TV-Serie, die mit Zustimmung des Autors viel freie Hand in der filmischen Umsetzung hatte und
diese auch genutzt hat (und dies hervorragend - aber das ist ein anderes Thema).

Also, ich kann es vorweg sagen: Wer die TV-Serie kennt, muss nicht befürchten, die Bücher erzählten 1:1 dieselbe Geschichte.
Mitnichten. So gibt es auch einige Charaktere nur im Film, manche nur im Buch, manche sind im Roman lediglich Randfiguren oder heißen anders etc.

Ich möchte hier keine Inhaltsangabe aller bisherigen Bände liefern - das führte zu weit und das kann man auch anderswo nachlesen.
Darum hier jetzt einfach etwas von mir zum Einstieg in die Buchreihe:

Die Bücher spielen in den Jahren ab 1929 in der Weimarer Republik und setzen sich jährlich fort – und ja, wir wissen heute,
wohin die politische Entwicklung führte, die Protagonisten jedoch nicht. Sie leben in ihrer Gegenwart, können lediglich mutmaßen,
glauben, hoffen (so wie wir heute auch …).


Band 1: Der nasse Fisch

Die Hauptfigur, Kriminalkommissar Gereon Rath, wurde infolge eines tödlich verlaufenen Polizeieinsatzes mit Hilfe des Einflusses
seines Vaters von Köln nach Berlin versetzt. Dort ist er zwar zunächst lediglich der „Sitte“ unterstellt, möchte aber um jeden Preis wieder
für die Mordkommission arbeiten. So ermittelt er neben seiner normalen Arbeit dann erstmal heimlich „nebenbei“, also ohne dienstliche Befugnis,
auf eigene Faust im Fall eines Leichenfunds im Landwehrkanal, der sich zu einem äußerst komplexen Kriminalfall entwickelt, stößt Rath
im Verlauf seiner Ermittlungen doch auf Verbindungen zu umstürzlerischen Exilrussen, Waffenschmuggel entgegen der Versailler Verträge, zum
organisiertem Verbrechen und einem mysteriösen Goldschmuggel. Dabei verliebt er sich in die Stenotypistin Charly aus der Mordkommission
und nutzt deren Insiderwissen für seine geheimen Ermittlungen, bei denen er sich in die kriminellen Machenschaften der Berliner
Unterwelt verstricken lässt. Schließlich muss er sich fragen, was ihm wichtiger ist: Seine berufliche Karriere, die Wahrheit oder seine Liebe zu Charly …

Was Band 1 der Krimi-Reihe ausmacht, gilt ebenso, wenn nicht noch mehr, für die folgenden Bände:
Die Story ist sehr gut und spannend erzählt, intelligent, komplex und gekonnt eingebettet in den geschichtlichen Kontext. Einige Personen wie z.B.
den Leiter der Berliner Mordinspektion, Ernst Gennat („Der Buddha“) oder den Kellner Bayume Mohamed Husen (im 4. Fall) gab es tatsächlich.

Die Hauptfigur Gereon Rath ist weder im Polizeialltag noch privat ein perfekter Held, sondern hat auch Schwächen und Macken, die ihn als
Charakter aber sympathisch machen. So verstößt er zum Beispiel oft und gerne gegen Regeln, nimmt es mit der Wahrheit nicht immer so genau,
ist oftmals unbeherrscht, vertuscht eine eigene Straftat, bringt aus eigenem Rechtsempfinden einen Mord auch mal nicht zur Anklage und in
seiner Beziehung zu Charly handelt er auch oft unglücklich. Aber natürlich hat er auch gute Eigenschaften, u.a. seinen Humor und seinen Sinn
für Gerechtigkeit. Man fragt sich manchmal beim Lesen, ob man jetzt dringender wissen will, wie es mit dem Kriminalfall weitergeht
oder wie mit der Beziehung zu Charly.

Weiter möchte ich nicht ins Detail gehen, aber ich kann sagen:

Es bleibt in den folgenden Bänden weiter spannend, es bleibt komplex, die Lösungen der Kriminalfälle sind kaum vorhersehbar und die
beruflichen, privaten und politischen Entwicklungen bleiben stets ein Spannungsfeld.
Der 8. Band lässt mich etwas traurig zurück, auch wenn ich schon eine Ahnung hatte, wie das enden könnte. - Hoffen wir, es geht weiter!
Diese Buchreihe ist ein echter Pageturner und wärmstens zu empfehlen!


NEU: Transatlantik - Band 9

Mit Spannung hatte ich nach "Olympia" auf die Fortsetzung gewartet und diese nun in kürzester Zeit gelesen und
ich würde mal sagen: Es gibt etliche Gründe für eine Fortsetzung, die es lt. Autor auch geben wird. :-)
Zunächst fand ich den Anfang dieses Bandes etwas zäh, denn was in „Olympia“ am Ende im Kurzverfahren bereits erzählt wurde,
gibt es nun erstmal in der Langversion. Aber ich wollte doch vor allem wissen, wie es mit Gereon Rath weiter geht …
Ok, das dauert dann noch etliche Seiten, die aber jetzt auch nicht unspannend sind, auch wenn es zunächst in Berlin und vor
allem mit Charly, aber auch mit Fritze weitergeht.
Insgesamt hat mir dieser Band auch wieder super gut gefallen, wenn er auch anders ist als seine Vorgänger – aber das ist
auch gut so, denn es geht mittlerweile mehr um das, was den Protagonisten widerfährt im Zuge der immer schlimmer werdenden
politischen Verhältnisse in Deutschland vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs, und das allein ist ja schon super spannend.
Der Kriminalfall, den Charly mit Hilfe von Gereons Nachfolger, Kriminalkommissar Andreas Langer, nun aufklären möchte,
da ihre Freundin Greta darin verwickelt ist, erreicht nicht ganz die Spannung und Komplexität der Fälle von Gereon Rath,
ist aber dennoch gut aufgezogen mit Bezug auf einen zurückliegenden Mord an einem zu Unrecht Gefangenen im
Konzentrationslager Sachsenhausen aus dem vorigen Band „Olympia“.
Und dann geht es endlich auch weiter mit Gereons Geschichte in den USA …

Ok, also jetzt wieder 2-3 Jahre warten …


Die Bände im Einzelnen:

Der nasse Fisch. Band 1
Der stumme Tod. Band 2
Goldstein. Band 3
Die Akte Vaterland. Band 4
Märzgefallene. Band 5
Lunapark. Band 6
Marlow. Band 7l
Olympia. Band 8
Transatlantik. Band 9

 

 

 

 

 

  Joachim Meyerhoff:
Alle Toten fliegen hoch

 

 

 

 

Meine neueste Bücherentdeckung: Unterhaltsam, lustig, leicht zu lesen - aber kein Schmarr'n,
sondern wirklich auch gut geschrieben!
Und das Beste: Es ist nicht nur 1 Buch, sondern eine kleine, vierbändige Erzählreihe namens

"Alle Toten fliegen hoch" von Joachim Meyerhoff
Sparte: Coming-of-Age / Entwicklungsroman

Die Bücher im Einzelnen:

1. Alle Toten fliegen hoch Teil 1: Amerika
2. Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
3. Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke
4. Die Zweisamkeit der Einzelgänger

In dieser Romanreihe erzählt der Autor von seiner Kindheit und Jugend im ländlichenSchleswig Holstein
als jüngster von drei Söhnen des Direktors einer Kinder- und Jugendpsychiatrie (Band 1, vor allem
aber Band 2), seinem Schüler-Austausch in die USA (Band 1), seinem Schauspielstudium in München (Band 3)
und seiner Zeit als junger, mäßig erfolgreicher Theaterschauspieler.

Wie der Titel bereits verrät, geht es im ersten Band vor allem um sein Schüleraustauschjahr in den
USA und um seinen Traum, fern von Brüdern und Eltern allein die große, weite Welt zu entdecken.
Die Realität beschert ihm dann jedoch eine christliche Gastfamilie in einem Kaff in Wyoming...
Doch er nimmt die Herausforderung an und durchlebt jede Menge lustige und skurrile Begebenheiten und
natürlich auch erste Liebschaften. Der Schicksalsschlag ereilt ihn dann aus heiterem Himmel …

Der zweite Band führt zeitlich einen Schritt zurück in die Kindheit des Erzählers und das Aufwachsen
in einer Familie, die auf dem Gelände einer Psychiatrie-Anstalt in Schleswig lebt, da der Vater
dort der Psychiatriedirektor ist. Einerseits wimmelt es geradezu von skurrilen Begegnungen und
lustigen Anekdoten, andererseits geht es in diesem Band aber insbesondere auch um seinen Vater,
ein Geheimnis und einen weiteren Schicksalsschlag.

Im dritten Band scheint der bislang perspektiv- und motivationslos vor sich hindümpelnde Protagonist
allmählich seinen Weg zu finden und beginnt eine Schauspielausbildung in München.
Es folgt jedoch nicht etwa eine wilde Studentenzeit in der Großstadt, sondern vielmehr eine
Gratwanderung zwischen der Welt seiner Großeltern, bei denen er während seiner Ausbildung wohnt, und
der für ihn in vielerlei Hinsicht befremdlichen Welt des Theaters. Zunehmend kämpft er dabei gegen
Selbstzweifel und eine innere Leere, die auch seine Großeltern bereits ergriffen hat.

Der abschließende vierte Band beschreibt die Zeit seiner ersten Bühnenengagements in der Theater-Provinz
und endlich auch der ersten großen Liebe – oder sind es etwa schon bald zwei? Oder gar drei?
„Egal“, würde Nr. 2 drauf antworten … Und ganz am Schluss löst sich dann auch der
Titel dieser empfehlenswerten Buchreihe auf.

Fazit: Alle vier Bände sind überwiegend geprägt von lustig erzählten, komischen und skurrilen Erlebnissen,
die der Autor mit einer guten Prise Selbstironie und viel Wortwitz unterhaltsam rüberbringt, die aber auch
immer wieder von tragischen Ereignissen durchbrochen werden.
Abgesehen von ein paar kleineren, gefühlten Längen in Band 3 und 4 habe ich die Bände in rascher Folge
aufeinander gelesen und habe es sehr genossen!

 

 

 

 

 

 

 

Rohinton Mistry:

Das Gleichgewicht der Welt

(engl.: A fine Balance)

 

 

 

 

Durch Zufall lernen sich auf einer Zugfahrt nach Bombay die einfachen Schneider Ishvar und sein Neffe Omphrakash und der aus gutem Hause stammende Student Maneck kennen. Rasch stellt sich heraus, dass sie das gleiche Ziel in der grossen Stadt haben, das Haus der Schneiderin Dina Dalal, bei welcher sich Ishvar und Omphrakash Arbeit erhoffen, Maneck ein Zimmer zur Untermiete.

Von diesem Zeitpunkt an beginnen sich ihre Schicksalsfäden vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Herkunft mehr und mehr miteinander zu verweben. Dabei erfährt der Leser nicht nur die ereignisreichen Lebensgeschichten der vier Hauptcharaktere des Romans, sondern nimmt auch an ihrem Alltagsleben, ihren Nöten und Ängsten, Sorgen und Freuden teil.

Dies erzählt Rohinton Mistry auf so intensive, mitreissende, lebendige und berührende Art und Weise, dass man als Leser gar nicht anders kann, als sich emotional in den Strudel der Ereignisse mit hineinziehen und ins Indien der Jahre zwischen 1975 und 1984 entführen zu lassen.

Innenpolitisch gesehen ist es eine unruhige Zeit, diese erste Amtszeit Indira Gandhis als Premierministerin des Landes. Ausnahmezustand, Niederschlagung der Opposition, behördliche Willkür, Folter, Zwangsmassnahmen sowie die zunehmende Beschneidung von Freiheiten und Bürgerrechten prägen das Alltagsleben - und natürlich treffen die Auswirkungen dieser Zustände vor allem die praktisch entrechteten Angehörigen der unteren Kasten. Eine grausige Berg- und Talfahrt des Lebens nimmt ihren Lauf, die ihren Protagonisten nichts erspart.

In der Erzählung wird „Das Gleichgewicht der Welt" an einigen Stellen symbolisiert, einmal durch das Schachspiel, das Maneck von einem Studienfreund geliehen bekommt, ein andermal durch einen Strassenkünstler, der auf einer langen Stange zwei kleine Kinder balanciert. Stärkstes Symbol jedoch ist eine Patchwork-Decke, an welcher Dina tagtäglich näht: Jeder der unzähligen, bunten Flicken erinnert die Protagonisten an ein bestimmtes Ereignis auf ihren miteinander verwobenen Lebenswegen, sei dieses rückblickend betrachtet nun gut oder schlecht, und lässt so Freud und Leid, Glück und Unglück zu einem grossen Ganzen verschmelzen.

Fazit:
Ein grossartiges Buch; ein aufwühlendes Buch; ein unbarmherziges Buch – ein Buch wie das Leben selbst.
Keine Seite zu lang, kein Ereignis oder Nebendarsteller zu unbedeutend.
Eine Leseempfehlung nicht nur für Indien-Interessierte.

 

 

 

 

 

 

 

 

David Mitchell:

Der Wolkenatlas

(engl.: Cloud Atlas)

 

 

 

 

Der „Wolkenatlas“ ist eine spannende literarische Reise der besonderen Art:

Angelehnt an den Gedanken an ein musikalisches Sextett für einander sich überschneidende Solostimmen wird jede der insgesamt sechs Kurzgeschichten von der nachfolgenden Geschichte unterbrochen beziehungsweise abgelöst, um dann jeweils in umgekehrter Reihenfolge fortgesetzt und zu Ende geführt zu werden.

Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Die sechs Geschichten beschreiben sechs Lebenswege an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten:

Den eines amerikanischen Notars, der um 1850 durch die Südsee reist, eines britischen Komponisten, der 1931 in Belgien am „Wolkenatlas-Sextett“ arbeitet, einer amerikanischen Journalisten, die in den 80er Jahren einen Atomskandal aufdecken will, eines englischen Verlegers, der von seinem gehörnten Bruder in die Irre geführt wird, einer geklonten koreanischen Sklavin in der Zukunft, die für das Recht kämpft, auch ein „Kosument“ ( = Mensch) sein zu dürfen, sowie eines postapokalyptischen Ziegenhirten, der den Untergang des verbliebenen Rests der Zivilisation miterlebt.

 Trotz der großen Zeitspanne von mehreren Jahrhunderten, unterschiedlicher Erzählstile (Romanform, Tagebuchform, Briefform, Interview) und verschiedener literarischer Genres (antiquierter Reisebericht, packender Thriller, düstere Science-Fiction) taucht immer wieder ein Detail auf, welches die nachfolgende Episode mit der vorigen verbindet.

Doch noch etwas ganz anderes zieht sich wie ein roter Faden durch Mitchells Menschheitsgeschichte und gibt so einiges zu denken:

Die unersättliche Gier des Menschen nach Geld, seine Gier nach Macht und die daraus resultierende Ausbeutung, Unterdrückung und Ausrottung des jeweils Schwächeren bis hin zum Niedergang der Zivilisation und zur unfreiwilligen Selbstausrottung. Am Ende ist der Erste zwangsläufig der Letzte …

Einen Lichtblick aber gibt es:

„… «Wer gegen die Hydra der menschlichen Natur kämpft, muss dafür mit unendlichem Leid bezahlen, und seine Familie bezahlt mit ihm! Erst wenn du deinen letzten Atemzug getan hast, wirst du begreifen, dass dein Leben nicht mehr gewesen ist als ein Tropfen in einem grenzenlosen Ocean!»

Was aber ist ein Ocean anderes als eine Vielzahl von Tropfen?“

 

 

 

 

 

 

 

 

V.S. Naipaul:

Der mystische Masseur

(engl.: The Mystic Masseur)

 

 

 

 

Die auf Trinidad spielende Geschichte vom gesellschaftlichen Aufstieg eines „kleinen" Mannes namens Ganesh
lebt vor allem von der liebevoll-satirischen Erzählweise, mit welcher es dem Autor gelingt, seinen Figuren
Lebendigkeit zu verleihen, sie menschlich und trotz ihrer Schwächen liebenswert erscheinen zu lassen.
Die für Ganeshs Aufstieg wegbereitenden Kapitel sind „Der mystische Masseur" sowie „Der Presse-Pandit":
In ersterem heilt Ganesh einen kleinen Jungen, der sich von einer schwarzen Wolke verfolgt glaubt.
Allerdings geschieht dies weniger mit Hilfe wirklicher Heilkunst oder gar durch Magie, wie die Bewohner Trinidads
später gerne glauben mögen, sondern einfach durch Ganeshs Einfühlungsvermögen. Sein Ruf als
„mystischer Masseur" gilt danach jedoch als gefestigt.

Im anderen Kapitel konzipiert Ganesh mit drei Gesinnungsgenossen, von denen einer noch ein Junge ist,
eine eigene kleine Zeitung. Hierbei zeigt sich auf humorvolle Art und Weise, wie schwierig der Weg
von der Idee hin zur Realisierung ist - und dass die drei Alten ohne den Jungen wirklich alt aussähen ...
Doch die Zeitung erscheint, wenn auch nur einmalig, und bereitet Ganesh den Weg in die Politik.
Trotz seiner enormen Karriere ist von Anfang an klar, dass Ganesh eigentlich überhaupt nicht
besonders begabt und anfangs auch nicht einmal sonderlich motiviert ist (was ihn sympathisch macht).
Er hat einfach „nur" das Händchen, zur rechten Zeit das richtige zu tun, und gibt niemals auf.

Interessant ist noch eine Nebenfigur, die man von einem andern Roman Naipauls zu kennen meint:
Ganeshs Schulfreund Indarsingh, der aufs College nach England geht und später auf der politischen Bühne
Trinidads wieder auftaucht. Einen nicht nur vom Namen her ähnlichen Schulfreund gibt es auch
in dem Roman „An der Biegung des großen Flusses". Darin heißt dieser schlicht Indar,
hat ebenfalls in England studiert und kehrt gleichfalls später wieder in seine alte Heimat zurück.
Beiden Indars ist zudem gemein, dass ihnen ihr elitär anmutender Bildungsausflug nach England
nicht viel gebracht hat und sie zurück zu Hause die bittere Feststellung machen müssen,
dass sie ihrem ehemaligen Schulkameraden dennoch unterlegen sind.

Ein sehr sympathisches, unterhaltsames und humorvolles Buch.

 

 

 

 

 

 

Jo Nesbo: Die Harry-Hole-Krimireihe

 

 

 

 

Meine letzte Bücher-Entdeckung ist eine Mischung aus Wieder- und Neuentdeckung:
Die Harry Hole – Krimireihe von Jo Nesbø kemme ich schon seit langem, zumal die ersten beiden Bände in Sydney bzw. in Bangkok spielen -
was auch der Grund ist, weshalb ich damals überhaupt auf diese Bücher aufmerksam geworden bin, sind beide Orte bzw. Länder doch auch
nach wie vor für mich persönlich sehr beliebte Reiseziele.
Wie es so geht hatte ich die Fortsetzungen dann irgendwann aus den Augen verloren – und bin nun umso froher, diese Lücke nun
geschlossen zu haben bis zum aktuellen Band 12. Natürlich hab ich nach all den Jahren aber zunächst wieder mit Band 1 zu lesen begonnen –
und war dann in einem regelrechten Lesefieber gefangen, so dass die mir fehlenden Bände schnell nachgekauft und geradezu verschlungen wurden.

Fazit:
Eine wirklich sehr gute, spannend erzählte Krimireihe mit vielen überraschenden Wendungen und einem Protagonisten, mit dem man
richtig gut mitfiebern, zuweilen auch mitleiden kann, denn Harry ist trotz seiner Ermittlungserfolge kein blütenreiner Superheld:
Unter Kollegen gilt er als eigensinnig, besessen, arrogant, reizbar und instabil. Vor allem aber ist er eines: Ein Alkoholiker, der immer wieder in
seine Sucht verfällt und dadurch nicht nur sich und sein persönliches Glück, sondern auch das anderer zerstört. Um seine Fälle zu lösen,
schreckt er vor fast nichts zurück und gefährdet dadurch auch schon mal das Leben Unschuldiger – eine der Facetten seines Charakters,
der im Grunde nur das Gute will: Mordfälle lösen und Mörder unschädlich machen– neben dem Alkohol seine zweite Sucht oder
seine „zweite Geliebte“.

Während seine beiden ersten Fälle noch in Sydney bzw. Bangkok spielen, ist in den folgenden Bänden Oslo Schauplatz der Geschichte,
die Stadt, in der Harry lebt und als Ermittler arbeitet. Zwar stehen die verwickelten, oft blutrünstigen Mordfälle stets im Vordergrund,
doch gewinnt man von Buch zu Buch auch zusehends mehr Einblicke in Harrys Persönlichkeit, seine Lebensumstände und seine
(dritte) große Liebe Rakel, ohne dass dieses Element überhandnimmt.

Mich haben die Fälle jedenfalls ziemlich gefesselt und es fiel mir stets schwer, ein einmal zu Lesen begonnenes Buch wieder
beiseite zu legen, bevor die Auflösung erreicht war. Somit kann ich für diese Reihe nur eine große Lese-Empfehlung abgeben!

Man kann die einzelnen Bücher zwar auch unabhängig von der Reihenfolge lesen, aber dazu würde ich nicht raten -
Hier die Bände in der richtigen Reihenfolge (1997 – 2019):

Band 1: Der Fledermausmann (engl.: The Bat)
Band 2: Kakerlaken (engl.: Cockroaches)
Band 3: Rotkehlchen (engl.: The Redbreast)
Band 4: Die Fährte (engl.: Nemesis)
Band 5: Das fünfte Zeichen (engl.: The Devil's Star)
Band 6: Der Erlöser (engl.: The Redeemer)
Band 7: Schneemann (engl.: The Snowman)
Band 8: Leopard (engl.: The Leopard)
Band 9: Die Larve (engl.: Phantom)
Band 10: Koma (engl.: Police)
Band 11: Durst (engl.: The Thirst)
Band 12: Messer (engl.: Knife)

 

 

 

 

 

 

 

 

Eliot Pattison:

Der fremde Tibeter

(engl.: The Skull Mantra)

 

 

 

 

Eliot Pattisons Debütroman spielt in einem chinesischen Arbeitslager mitten in Tibet.
Unter den Häftlingen – überwiegend Mönche aufgelöster und zerstörter tibetischer Klöster –
befindet sich auch der chinesische Protagonist Shan, einstiger Ermittler in politischen
Korruptionsfällen in Peking. Eines Tages findet seine Brigade während ihrer Arbeit am Bau einer Straße eine Leiche ohne Kopf.
Im Zuge der Ermittlungen wird Shan vom Befehlshaber des Lagers von seiner Arbeit freigestellt
und mit der Aufklärung der Tat beauftragt, bevor eine amerikanische Delegation das Land besucht.
Schon bald wird von offizieller Seite ein Mönch als angeblicher Täter präsentiert - doch Shan, der sich im Zuge
seines Lageraufenthalts mit den Mönchen angefreundet und sich mit ihrer Lebensweise vertraut gemacht hat,
zweifelt an den angeblichen Beweisen und recherchiert weiter …

Anhand dieser Krimihandlung gelingt es Pattison, dem Leser das buddhistische Tibet und die Auswirkungen
der chinesischen Besetzung  nahe zu bringen – teilweise so detailliert, dass man vermuten möchte,
dass dies auch sein Hauptbeweggrund zum Schreiben dieses Buches war, was aber durchaus nicht negativ zu bewerten ist,
da Shans Suche nach dem Mörder, wenn auch im Detail etwas verworren, durchaus spannend ist und zu einer
überraschenden Auflösung führt. Für den Roman wurde er 2000 mit dem Edgar Allan Poe Award ausgezeichnet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der deutsche Titel ist etwas irreführend, denn zwar geht es in der Rahmenhandlung dieses Romans um die Liebe
zu einer jungen Frau in Genua, aber mehr noch um die Liebe zu der Stadt selbst aus der Sicht eines Neuankömmlings.
Der Originaltitel "La Superba" ("die Stolze") trifft es da einerseits etwas genauer, denn "La Superba" ist Genuas Beiname,
andererseits kann damit aber auch gleichsam wieder besagtes Mädchen gemeint sein.

Der Ich-Erzähler und Neuankömmling ist der Autor selbst bzw. dessen alter Ego. Frisch in seiner neuen Wahlheimat angekommen lässt er sich
zu jeder Tages- und Nachtzeit durch die Altstadtgassen treiben, verbringt Tage und Nächte in Cafés und Bars.
Durch die Beobachtung der Menschen und dem Leben um sich herum lernt er die Stadt und ihre Bewohner kennen und lieben und macht dabei
zahlreiche, teilweise auch etwas skurrile Bekanntschaften, u.a. natürlich mit dem für ihn schönsten Mädchen von Genua, einer
Kellnerin in einem seiner Stammlokale, aber auch mit Raschid, dem aus Marokko geflüchteten Rosenverkäufer, der zu intelligent zum
Rosenverkaufen ist, einem englischen Säufer und Geschichtenerzähler, einer Kartenleserin, einem Transvestiten, einem
Geisterbeschwörer, sogar mit einer Geistererscheinung, und mit Djibi, einem Flüchtling aus dem Senegal.

Gerade am Beispiel der afrikanischen Flüchtlinge wird deutlich, wie sehr sich die Beweggründe für eine Flucht oder Auswanderung
schon immer geglichen haben - und wie gegensätzlich dazu die Motivation des Protagonisten war, seiner niederländischen Heimat
den Rücken zu kehren. Am anschaulichsten in diesem Kontext ist das Kapitel, das allein Djibi und seiner Flucht aus dem Senegal gewidmet ist.

Je tiefer der Erzähler in seine neue Welt vordringt, desto mehr verliert er sich auf seinen einsamen Streifzügen nicht nur im
Labyrinth der Altstadtgassen, sondern auch in seiner Phantasie, so dass manchmal weder er noch der Leser genau zwischen
dieser und der Realität zu unterscheiden vermag ...

Neben Djibis Geschichte gefällt mir insbesondere auch die Episode um den geplanten Kauf eines kleinen Theaters in der Altstadt.
Und doch ... ein paar Punkte gibt es dennoch, die einen Schatten auf das Ganze werfen:
So zum Beispiel das Kapitel um den Säufer Don. Das war für mich äußerst uninteressant und überflüssig - ich habe es zunächst
quasi übersprungen und am Schluss erst gelesen. Fazit: Darauf hätte verzichtet werden können.
Ebenso die Tatsache, dass der Autor sich insgesamt in zu viele Themen verliert und dazu alles gerne noch mit seiner
eigenen Meinung garniert. Dies ist zwar meist unterhaltsam geschrieben, aber stellenweise wird es dann doch zu viel
und die Anekdote bzw. die Phantasien um ein amputiertes Bein sind nicht nur sehr schräg und bizarr, sondern völlig daneben.
Aber auch wenn es um Sex und um seine Gedanken in Bezug auf Frauen geht fragt man sich teilweise schon, was das soll,
zumal sich bei Ersterem vorzugsweise einer recht ordinäreren Sprache bedient wird.
Man kann nur hoffen, dass der Protagonist wirklich nur eine Romanfigur bzw. ein Alter Ego ist und nicht der Autor selbst ...;-)

Warum ich das Buch trotzdem gern gelesen habe?
Tja, es ist wohl die Liebe des Autors zum Erzählen und Fabulieren, das macht er nämlich wirklich ausgesprochen gut.
Vor allem auch lesenswert für Genua Kenner oder –Interessierte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Grand Hotel Europa" ist ein komplexer Roman, dessen Haupterzählfaden der Rückblick auf eine Liebesgeschichte ist,
die gespickt ist mit Gedanken zur Lage Europas zwischen Vergangenheit und Zukunft, zu Flüchtlings- und
Tourismusströmen und zum Thema Reisen und Tourismus an sich.

Erzählt wird die Geschichte eines alternden Schriftstellers, Ilja Leonard Pfeijffer bzw. dessen Alter Ego,
der sich auf unbestimmte Zeit in das einst mondäne, mittlerweile jedoch etwas heruntergekommene
"Grand Hotel Europa" (als Sinnbild des Kontinents) einmietet, um dort sowohl emotional als auch literarisch das Ende
einer Liebesbeziehung aufzuarbeiten.
Hier trifft er u.a. auf den jungen, afrikanischen Hotelpagen Abdul, der nicht gerne über Vergangenheit spricht
und seine eigene lieber vergessen möchte. Für ihn als ehemaligen Flüchtling ist die Zukunft wichtiger.
Ebenso für den neuen chinesischen Investor, der das Grand Hotel Europa aufgekauft hat und nun zukunftsfit machen will,
sprich: Attraktiv für Touristen. Diese Zielgruppe wiederum kommt wegen Europas großartiger Vergangenheit.
Und was macht Europa zwischen erdrückender Vergangenheit und ungewisser Zukunft? - Es vermarktet seine Vergangenheit
wie eine Museums-Attraktion, der Massentourismus und die Zerstörung des Authentischen beginnt.

In einer Mischung aus romanhaftem Erzählen, wohl ausformulierten Dialogen und essayartigen Passagen widmet Pfeijffer
sich stilvoll und intellektuell den o.g. Themen wie in einem ins 21. Jahrhundert katapultierten "Zauberberg".
Interessant, gerade für Liebhaber des Reisens, sind die Beschreibungen und Gedanken zum Themenkomplex Urlaub/Reisen/Tourismus.
Auch wenn ich nicht allen Thesen diesbezüglich zustimmen kann (oder vielleicht gerade deswegen) bieten diese doch
reichhaltig Diskussionsstoff. Zur Veranschaulichung seien hier kurz zwei Beispiele exemplarisch zitiert,
ohne dass ich diese jetzt kommentiere:

<<..."Eines muss man bei Reisen, so wie wir sie machen, unbedingt ablegen, und das ist: zu urteilen ...">> (S. 214),
sagt zum Beispiel ein Weltreisender im Zusammenhang mit einem krassen Erlebnis in Pakistan.

**

<<"Glauben Sie, dass Reisen den Horizont erweitert?"
"Ich glaube, dass Nachdenken den Horizont erweitert."
"Hilft Reisen beim Nachdenken?"
"Wohl ähnlich, wie eine Flucht bei der Lösung von Problemen hilft ..." ... (S. 234)
... "Ich kann nur meine Überzeugung wiederholen, dass Nachdenken den Horizont erweitert, während das Reisen
das Nachdenken eher behindert als anregt.
"...>> (S. 238)

**

Dabei verstrickt sich der Ich-Erzähler augenzwinkernd auch selbst in Kontroversen, z.B. als er (auf S. 278) nach seinem
peinlichen Besuch eines Slum-Viertels in Skopje zu dem Schluss gelangt: "Ich musste endlich damit aufhören, ein
Anstoß erregender Tourist zu sein, und wieder dazu übergehen, an den Touristen Abstoß zu nehmen. Ich musste endlich nach Hause
."
Nicht viele Buchseiten weiter (S. 305) macht er sich darüber Gedanken, dass er für die Verlängerung seiner Goldkarte von
Alitalia dringend weitere Flugmeilen benötigt.

Als konkrete Beispiele einer völligen Auslieferung an den Tourismus, einhergehend mit dem Verlust der eigenen Identität,
werden vor allem Venedig, aber auch Amsterdam, Giethoorn und Cinque Terre beschrieben, die zunehmend ihre eigene
Bevölkerung verlieren und zum Freilichtmuseum bzw. touristischen Freizeitpark mutieren.

Ach ja, und dann ist ja auch noch die Liebesgeschichte, auf die der Schriftsteller im Grand Hotel Europa zurückblickt,
die im wenn schon noch nicht in der Lagune, dafür aber längst im Massentourismus ertrunkenen Venedig spielt.
Doch auch hier geht es nicht nur um seine Liebe zur Kunsthistorikerin Clio, sondern auch um die Liebe zur Geschichte
und zur Kunst, und ja - Sex darf natürlich auch nicht fehlen. Hätte zwar im Kontext des Romans nicht bzw. nicht in
dieser Deutlichkeit sein müssen, aber das kann nur der Autor selbst beantworten.
Wenn dies seine Fantasien sind, hm .... ;-)

Letztendlich laufen am Ende alle Fäden zusammen und ich kann nur sagen:
Ein sehr gekonnt erzählter Roman mit vielen schönen und intelligenten Formulierungen und etlichen
Denk- und Diskussionsanstößen, die in all ihrer Ernsthaftigkeit immer wieder von einem aufblitzenden genialen Humor, einem
Augenzwinkern und einer guten Portion Selbstironie durchbrochen werden.
Von mir eine absolute Lese-Empfehlung!


 

 

 

 

 

 

 

Falko A. Rademacher:

Köln für Imis

 

 
 

 

Bei der Lektüre dieser Köln-Satire mussten wir immer wieder das Buch beiseite legen und einfach loslachen.
Wer die Stadt kennt, weiss, warum. Mit viel Humor und Wortwitz gelingt es Rademacher, die weniger schönen
und skurrilen Seiten der Stadt und ihrer Bewohner beim Namen zu nennen, ohne diese dabei zu denunzieren.
Die Bandbreite der Themen reicht dabei von „der großen Bahnhofskapelle“ (Kölner Dom) über die
„schääl Sick“ bis zum Verhältnis zu Düsseldorf - und natürlich sind auch Klüngel, Kölsch und Karneval
mit von der Partie. Quasi ein „Muss“ für alle (Neu-) Kölner.

 

 

 

 

 

 

 

Vikas Swarup:

Rupien! Rupien!

(engl.: Q & A;

Slumdog Millionaire)

 

 

 

 

Der Roman beginnt mit der Festnahme des Protagonisten und Ich-Erzählers Ram Mohammed Thomas, nachdem er in einer
indischen „Wer-wird-Millionär“-Show im Fernsehen eine Milliarde Rupien gewonnen hat, da keiner glauben will,
dass ein ehemaliger Straßenjunge solch schwierige Fragen richtig beantworten kann, ohne dass ein Trick dahinter steckt.
Überraschenderweise erklärt sich eine Anwältin zu Rams Verteidigung bereit, nimmt ihn mit zu sich nach Hause
und lässt sich von ihm erzählen, wie es dazu kam, dass er tatsächlich auf jede der Fragen die richtige Antwort wusste.
So erfährt man in den folgenden Kapiteln rückblickend Rams mal heitere, mal traurige Lebensgeschichte,
allerdings nicht chronologisch, sondern in genau der Reihenfolge, in welcher ihm die Fragen im Verlauf
der Quizsendung gestellt wurden. Diese Erzählweise erfordert zwar etwas Nachdenken beim Lesen,
um jede Lebensepisode richtig einzusortieren, macht die Geschichte aber originell und spannend.
Darüber hinaus erfährt man auch einiges über Indien.

Der Roman wurde übrigens unter dem Titel „Slumdog Millionaire“ verfilmt und 2009 mit acht Oscars ausgezeichnet.

 

 

 

 

 

 

J.R.R. Tolkien:

Der kleine Hobbit

&

Der Herr der Ringe

(engl.: "The Hobbit" &

"Lord of the Rings")

 

 

 

Zwei Reisen, die hier nicht fehlen dürfen (auch wenn sie zur Fantasy-Literatur zählen), sind die von Bilbo Beutlin aus dem "kleinen Hobbit"
und der Gefährten aus der "Herr der Ringe"-Trilogie.
Beide Werke Tolkins kennen und lieben wir seit langer Zeit und wir sind auch große Fans der Verfilmungen von Peter Jackson.
Wer lediglich die Filme kennt, sollte wirklich auch mal die ihnen zugrundeliegenden Bücher von J.R.R. Tolkien lesen.
Keine Frage - die Filme sind super und Peter Jackson hat die Geschichten sehr gut zusammengefasst bzw. im Hobbit auch ergänzt.
Dennoch beinhalten die Bücher noch einiges mehr an Ereignissen, Stimmungen, Charkteren und Hintergründen, vor allem im "Herr der Ringe",
und sind sehr anschaulich, spannend und schön geschrieben - erst das Lesen entführt einen wirklich
auf die großen Reisen durch Mittelerde.

Auf Inhaltsangaben sei hier verzichtet. Wer die Geschichten noch nicht kennt, sollte vielleicht erst lesen, aber letztendlich ist die Reihenfolge egal.
Für uns beides Meisterwerke.

 

 

 

 

 

 

 

von Westphalen, Joseph:

Im diplomatischen Dienst

 

 

 

 

 

Der Protagonist Harry von Duckwitz wird aus Faulheit Diplomat und liebt es, überall zu provozieren und anzuecken, sei es in Kamerun, Ecuador oder in der Eifel. Seine zweite Leidenschaft gilt den Frauen, wobei es ihm stets schwer fällt, sich auf eine einzige zu beschränken. Damit bringt er gehörigen Schwung in den sonst eher biederen diplomatischen Dienst, was natürlich nicht überall gleich gut ankommt ...

Da das Buch mittlerweile fünfzehn Jahre alt ist, sind die erwähnten politischen Ereignisse (Tschernobyl, Hauptstadtdebatte, Mauerfall) inzwischen passé, dennoch sind die ironischen Betrachtungen von Duckwitz immer wieder amüsant zu lesen. Die Fortsetzung ist unter dem Titel "Das schöne Leben" erschienen und ist auch noch lesenswert, jedoch wird in Bezug auf Frauen und Zeitgeist-Kritik auf Dauer zu sehr übertrieben (Eine dritte existierende Fortsetzung sei hier nicht mehr näher erwähnt).

 

 

 

 

 

 

 

 

Wackwitz, Stephan:

 Walkers Gleichung

 

 

 

 

 

Ein wenig erinnern die Rahmenbedingungen zu „Walkers Gleichung" an einen gewissen Harry Duckwitz (Joseph v. Westphalen: „Im diplomatischen Dienst"): Tropische Kulisse, Botschaftsmilieu und ein sympathischer „schräger Vogel" als Protagonist, dem seine Frauengeschichten wichtiger sind als sein Botschaftsjob. Allerdings ist die Geschichte des Siegmund Walker weitaus genialer:
Selbst nicht Diplomat, sondern lediglich Referent einer Stiftung, der an der deutschen Botschaft eines Tropenstaates Schreib- und Zuarbeiten erledigt, geht Walker privat gerne seinen schriftstellerischen Ambitionen nach, indem er Essays für deutsche Zeitungen schreibt - gleichwohl er sich schmerzlich bewusst ist, dass der Essayist als solcher in der breiten Öffentlichkeit, sprich: Vor allem bei den Frauen (die seine zweite Leidenschaft sind) nur wenig gilt und im Vergleich zu der des Romanschreibers nie so recht ernst genommen wird. So geschieht es, dass er, um bei seiner Angebeteten Juliana landen zu können, vorgibt, an einem Roman zu schreiben - und zwar über die Auslandsdeutschen der tropischen Inselhauptstadt, also seine Vorgesetzten, Kollegen, Freunde, Bekannten, etc. Diese Äußerung kommt zwar wunschgemäß bei den Frauen sehr gut an, in anderen Kreisen jedoch ist man wenig begeistert von Walkers Ansinnen, „… die Verbindungen zwischen wirtschaftlicher, politischer und kultureller Macht, ... die Mischung aus Erotik, Korruption und Verbrechen …" nicht nur als Fiktion, sondern als lebendigen Lebenshintergrund darzustellen. Darüber hinaus sorgt ein fremdenfeindlicher Übergriff im fernen Deutschland für politischen Aufruhr und führt dazu, dass Walker zum Sonderbeauftragten für eine kurzfristig angesetzte multikulturelle deutschtropische Kulturwoche ernannt wird, die das Ansehen Deutschlands im Ausland wieder gerade rücken soll. Die Frage, die sich bei alldem stellt, ist, ob und wie am Ende Walkers Gleichung mit mehreren Unbekannten aufgeht und was am Schluss für ihn übrig bleibt.

Stephan Wackwitz beschreibt mit viel Ironie und Humor einen illustren Kreis von Auslandsdeutschen („… nach heimischen Maßstäben komfortabel gescheiterte Existenzen. [...] mit zu Hause wertlosen Doktortiteln ..."), in dem die Maxime „Nichtstun und Doch-irgendwie-etwas-Sein" zu gelten scheint, und den deutschen Kulturbetrieb an sich. Dabei können die ineinander verschachtelten Sätze gut und gern auch mal eine halbe Seite lang werden, was das Lesen stellenweise etwas anstrengend macht. Langeweile aber kommt an keiner Stelle auf - im Gegenteil: „Walkers Gleichung" ist eine geniale, spannende und witzige Satire, wie man sie nicht oft zu lesen bekommt.

 

 

 

 

 

 

 

 

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