Outback

oder

Nur für Kängurus

Kurzgeschichte

 

 

 

 

„Outback“ oder „Nur für Kängurus

 

Die Straße führte schnurstracks geradeaus, wie mit dem Lineal gezogen malte sie eine asphaltgraue Linie in die monotone Buschlandschaft, um in der Ferne in der flirrenden Hitze mit dem Horizont zu verschmelzen. Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte erbarmungslos auf die rote, von Trockenrissen durchzogene Erde. Nichts regte sich in der weiten Ebene, die dem Betrachter nichts bieten konnte, was das Auge zu halten vermochte, lediglich die allgegenwärtige Hitze schuf durch ihr hektisches Flimmern und Flirren die Illusion durch die Luft schwebender Kleinstlebewesen.

Dank der Klimaanlage war es im Wageninnern erträglich, fast schon ein wenig zu kühl. Immer wieder blickte er unwillkürlich zu Nugi, die schweigend neben ihm auf dem Beifahrersitz saß und aus dem Fenster schaute, den Blick auf unendlich eingestellt. Auf ihrem Arm hatte sich eine leichte Gänsehaut gebildet, kleine Härchen reckten sich empört empor, ebenso ihre Brustwarzen unter ihrem dünnen Top, wie er verschämt registrierte.

„Bisschen frisch hier drin“, murmelte er und drosselte die Klimaanlage. Nugi lächelte sanft und schloss die Augen. Zu sehen gab es ohnehin nichts, zumindest nichts, was auch nur ansatzweise in der Lage gewesen wäre, die vorherrschende Tristesse zu unterbrechen. Seit Stunden fuhren sie nun schon durch diese Öde, ohne dass sich das Landschaftsbild in irgendeiner Form gewandelt hätte. Ab und an säumte ein Zaun den Straßenrand, mal ratterten sie über ein Gitter, das die Straße querte, mal mussten sie einem entgegenkommenden Roadtrain ausweichen, dessen gewaltiger Sog ihr Auto beinahe von der Straße zog. Die einzigen nennenswerten Konstanten während ihrer Fahrt durch das Outback waren die sichtbare Hitze und die Kadaver auf und neben der Straße. Ein lebendiges Känguru war ihnen auf ihrem Weg noch nicht begegnet, lediglich ihre sterblichen Überreste, meist schon aus großer Entfernung erahnbar durch die Anwesenheit großer, flatternder Krähenvögel.

Ein Motorengeräusch ließ Nugi ihre Augen träge öffnen. Ein großer, weißer Campervan überholte sie mühelos. Ein Kind winkte aus dem Fenster, roter Staub wirbelte auf, dann war der Wagen auch schon vorbei und Nugi blickte ihm nach, wie er sich immer weiter entfernte und bald nur noch ein greller, die Sonne reflektierender Lichtblitz zu sein schien.

„Die sind aber flott unterwegs“, kommentierte sie und sah ihn herausfordernd an.

„Du wirst sehen, bis Uluru haben wir die wieder eingeholt. Kleine Kinder müssen ständig aufs Klo …“, entgegnete Finn schulterzuckend und drückte das Gaspedal unmerklich weiter durch.

„Kleine Mädchen auch“, sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln.

„Im Ernst jetzt?“

„Nein, bleib cool, mate, war bloß Spaß.“

Sie lächelten einander zu und er drückte zärtlich ihre schlanke, braune Hand. Nugi, dachte er, die schönste Frau, die mir seit langem begegnet ist. Seit Maja. Maja … Er versuchte, sich zu erinnern, doch die vor ihm tanzende Hitze des Outbacks lähmte sein Erinnerungsvermögen, verbrannte seine Erinnerungen und ließ nichts als verkohlte Aschefetzen zurück, die durch die Luft wirbelten und sich mit dem roten Staub der trockenen Erde vermischten.

„Da, was ist das, da vorne?“ entfuhr es ihm plötzlich. Irritiert öffnete Nugi die Augen und folgte mit ihrem Blick seinem ausgestreckten Zeigefinger, der ins Nichts zu weisen schien. Doch dann sah sie es auch: Ein schwarzes Etwas erhob sich aus der Eintönigkeit der Ödnis, ein schwarzer, bewegungsloser Schatten am rechten Straßenrand, eine dunkle Gestalt, noch aufgrund der Entfernung ohne exakte Kontur und Form. Wie ein Silberpfeil war der Campervan an der Erscheinung vorbeigezogen und setzte seinen Weg gen Horizont fort. Vielleicht handelte es sich lediglich um eine Fata Morgana?

„Vielleicht ein großes Känguru“, mutmaßte Nugi.

„Dann wären die Touristen garantiert nicht einfach so dran vorbeigefahren“, entgegnete Finn und drosselte das Tempo. Langsam formten sich die Konturen des Schattens, er rieb sich die Augen, doch das Bild war nun eindeutig:

„Nein, schau mal … das ist doch ein Mann, da steht ein Mensch, mitten im Nirgendwo!“ rief er aufgeregt. „Was macht der denn da? Ich meine, wo kommt er her? Hier gibt es doch weit und breit nichts als Sand und Hitze! Ob er vielleicht einen Autounfall hatte?“

„Siehst du hier vielleicht irgendwo ein Auto, mate?“, fragte Nugi gelassen.

Er ließ seinen Blick schweifen. „Nein, ich weiß auch nicht … vielleicht war er off-road unterwegs, vielleicht ist auch irgendwo hier ein Graben …“.

Langsam näherten sie sich dem Mann, der jetzt den Arm leicht anhob und nahezu unmerklich winkte. Seine Kleidung und seine Schirmmütze waren staubig, in der Hand hielt er eine abgenutzte Plastiktüte.

„Fahr weiter“, sagte Nugi leise, „das ist ein fake“, doch Finn war bereits rechts herangefahren und hatte den Wagen nur wenige Schritte vor dem Fremden zum Stehen gebracht.

„Wieso, was meinst du? Hier steht jemand mitten im Outback ohne Auto oder sonst was, den kann man doch nicht einfach so da stehen lassen?“

„Lass ihn bloß nicht rein, mach bloß die Tür nicht auf!“ Er hörte Aufregung aus ihrer Stimme heraus, aus ihren Augen sprang ihm echte Angst entgegen.

„Aber Nugi“, versuchte er sie zu beruhigen, „das ist doch praktisch einer von deinen Leuten ...“

„Eben drum“, stieß sie tonlos hervor, beugte sich blitzschnell zu ihm herüber und drückte den Türknopf nach unten, bevor der Aborigine das Auto erreichte. Der Mann begann zu sprechen und sah dabei aus großen, schwarzen Augen zu ihnen empor. Finn warf Nugi einen hilflosen Seitenblick zu und öffnete zögernd das Fenster einen Spalt breit, um ihn verstehen zu können. Die Stimme des Mannes war sehr tief, sein Englisch rudimentär, doch  dass er von einem Autounfall berichtete und darum bat, bis zur nächsten Tankstelle mitgenommen zu werden, ging deutlich aus dem Gesprochenen hervor.

„Auf gar keinen Fall nehmen wir ihn mit“, sagte Nugi mit fester Stimme. „Das ist ein fake, glaub mir. Wenn du hier leben würdest, wüsstest du das. Das ist nichts als ein Trick, um gutgläubige Touristen auszurauben! Nicht mal die vor uns sind drauf reingefallen!“

„Aber wir können ihn doch nicht einfach hier stehen lassen! Er wird verdursten!“

„Der wird hier schon nicht verdursten, glaub mir das, mate“, entgegnete Nugi. „Was glaubst du, wie wir hier schon Zig-Tausende von Jahren überleben konnten?“

Hin- und her gerissen ließ er seinen Blick zwischen ihr und dem Mann wandern. Ihre Gesichter wiesen nur wenige Gemeinsamkeiten auf, wahrscheinlich genau so wenige wir ihre Lebensumstände und ihre Denkweise - und doch waren sie beide Nachkommen der Ureinwohner dieses Kontinents. Ich vertraue ihr, dachte er, weshalb sollte sie Blödsinn erzählen? Doch eine Restunsicherheit blieb. Sie konnte sich irren. Es konnte ausnahmsweise tatsächlich einmal etwas passiert sein. Und was dann? Womöglich gab es noch Verletzte? Aber was, wenn es doch nur eine Falle war …? Man darf niemanden in der Wüste ohne Wasser zurücklassen, niemanden! Schoss es ihm durch den Kopf. Sein Blick blieb auf dem Mann haften, der noch immer erwartungsvoll zu ihm empor sah. Zwei Fliegen huschten über sein dunkles, von tiefen Falten durchfurchtes Gesicht, doch er zuckte mit keinem Muskel, gleich einer hölzernen Maske starrte er ihn unentwegt an.

Mit einem leisen Seufzer wandte Finn sich ab und griff auf den Rücksitz. Zwei Augenpaare folgten ihm, als er umständlich eine Flasche Wasser hervorkramte. „Das ist das Mindeste“, sagte er in Nugis Richtung, mied jedoch ihren Blick. Er reichte dem Mann die Wasserflasche, murmelte eine Entschuldigung und startete den Wagen.

Lange sprachen sie nichts. Der Mann war wieder zum konturlosen Schatten geworden, zur Fata Morgana, zur Erinnerung. Nicht weit vor ihnen blitzte sie der weiße Campervan im Sonnenlicht an.

„Hab ich’s nicht gesagt?“ sagte Finn, als sie den Wagen bald darauf überholten, während dieser am Straßenrand stand und das Kind mit heruntergelassener Hose hinter einem Busch verschwand. „Dafür können sie anhalten ...“

„Und für Kängurus“, fügte Nugi lächelnd hinzu und strich ihm sanft übers Haar.

 

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© Silke

 

 

 

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