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Heia Safari Einmal Lake Turkana und zurück Kurzgeschichte
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Zehn Tage auf dem LKW durch Kenya Eigentlich hätte ich es vorhersehen können, ja, sogar müssen. Die günstigste Campingsafari zum Lake Turkana in ganz Nairobi, innerhalb von zehn Tagen hin und zurück, Vollverpflegung, sämtliche Zeltübernachtungen und Campingutensilien inklusive – es klang zu verlockend. Doch ich möchte nichts vorwegnehmen, noch weniger mich mokieren. Der Trip hatte durchaus seine schönen Seiten, sehr schöne sogar, wenn auch teilweise völlig andere, als erwartet. Aber so ist das nun mal mit dem Reisen. Es geht nicht darum, vorgefertigte Bilder und Erwartungen bestätigt zu sehen, das wäre langweilig und würde das Reisen an sich ad absurdum führen. Es geht vielmehr darum, Neues zu entdecken, Vorurteile zu revidieren, sich ein subjektives, aber doch möglichst reales Bild zu machen, sich dem Unvorhergesehenen zu stellen, ihm fest ins Auge zu sehen und seine schönen Seiten zu erkennen. - Nein, ins Philosophieren wollte ich jetzt aber auch nicht abdriften, sondern einfach nur von meiner Safari zum Lake Turkana berichten, die viel versprach, einiges davon auch hielt, und so manche Überraschung parat hatte. Als ich mit zweistündiger Verspätung vor meinem Hotel in der River Road abgeholt wurde, bereute ich meinen Entschluss, mich einer Safaritour anzuschließen, fast schon wieder: Das Gefährt war ein alter, klappriger LKW Marke British Leyland, auf dessen Ladefläche an den Längsseiten zwei lange Bänke montiert waren, auf denen bereits etliche wazungu* saßen. Ihre Rucksäcke und sonstiges Safarigepäck türmten sich in einem wilden Durcheinander zu ihren Füßen in der Mitte. Da hast du dir ja was Schönes eingebrockt, dachte ich zweifelnd, doch für einen Rückzug war es zu spät, die Campingsafari war bereits bezahlt und schließlich wollte ich ja den Lake Turkana sehen, die Wüste, die Trockensavanne, die einsamen, dürren Weiten des Nordens, Samburu- und Turkana-Land. Seufzend fügte ich mich in mein Schicksal, ergriff die Hände, die sich mir entgegen streckten, und kletterte auf die Ladefläche, die für die kommenden zehn Tage mehr oder weniger mein Zuhause sein würde, zusammen mit weiteren neunzehn wazungu – heia Safari*! Die Gruppe bestand aus einer bunten Mischung verschiedener Nationen, allen voran Holländer und Deutsche, dazu Engländer, Italiener und Israelis. Ohne es darauf angelegt zu haben, verstand ich mich mit den Deutschen auf Anhieb ganz gut, da sich zwei ganz nette Spaßvögel unter ihnen befanden, die mich sofort ansprachen. Die sechs Holländer waren eine bereits bestehende Gruppe und zogen es vor, unter sich zu bleiben. Das des Englischen nur rudimentär mächtige italienische Pärchen hielt sich weitgehend zurück, machte jedoch einen freundlichen Eindruck, ebenso die drei Israelis. Victoria, eine aus Mocambique stammende Engländerin, entpuppte sich von Beginn an als unermüdliches Plappermaul, was ihr seitens der beiden Spaßvögel den heimlichen Spitznamen „Speaktoria“ einbrachte. Das sah ja alles gar nicht so schlimm aus, sofern es gelingen sollte, Speaktorias nicht enden wollenden, mehrheitlich belanglosen Redestrom irgendwie auszublenden. Nachdem wir die Stadt hinter uns gelassen hatten und den Rand des Ostafrikanischen Grabens erklommen, atmete ich befreit auf. Der unbestreitbare Vorteil eines solchen Safari-LKW ist der gute Rundum-Blick aus erhöhter Position, der sich den Passagieren bietet, und ich genoss die grandiose Aussicht auf das Rift Valley und die weite, gelbe Savanne tief unter uns. Anschließend durchquerten wir das fruchtbare, grüne Kikuyuland, über dessen grüne Hügel sich groß und majestätisch der erloschene Vulkan Mt. Kenya bis auf eine Höhe von 5.200 Metern erhob. Im Vorbeifahren sahen wir Kikuyubauern in ihren kleinen shambas* arbeiten, wo sie dicht an dicht Feldfrüchte wie Bananen, Kaffee, Mais oder Ananas anbauten. Am Straßenrand begegneten uns Horden von Schulkindern in ihren Schuluniformen. Sie winkten und riefen uns „mzungu*, mzungu“ oder „good morning teacher“ hinterher. Unser Truck hatte derweil seine liebe Mühe mit den vielen Steigungen, die es zu bewältigen galt, und bewegte sich über weite Strecken nur erbärmlich ächzend im Schneckentempo vorwärts. Da wir wegen des verspäteten Starts ohnehin schon im Zeitplan zurück lagen, schwante uns nichts Gutes für das Erreichen des ersten Etappenziels, und so kam es dann auch, dass wir die erste Nacht unserer Campingsafari in einem Guesthouse in Nanyuki, am Fuß des Mt. Kenya, verbrachten. Also erst einmal keine afrikanische Nacht unter freiem Himmel. Aufgrund unseres Hinterherhinkens hinter dem Zeitplan wurde einstimmig beschlossen, am folgenden Morgen zeitig zu starten. So wurden wir gegen drei Uhr in der Früh geweckt, nachdem wir Dank der lärmenden Bar im Erdgeschoß gerade mal vor etwa einer Stunde eingeschlafen waren. Doch was nimmt man nicht alles in Kauf für eine gelungene Safari. So starteten wir völlig verschlafen in völliger Dunkelheit und nächtlicher Hochlandkälte unsere zweite Etappe gen Norden. Als gerade die Sonne hinter den Bergen aufging, erreichten wir Isiolo, den laut Reiseführer „letzten Außenposten vor dem Aufbruch in die Wildnis des Nordens“. Das hörte sich gut an und ließ das Safari-Herz höher schlagen. Tatsächlich markierte Isiolo die Grenze zwischen einem fruchtbaren Garten Eden und der kargen Wüste. Endlos weite, gelblich-braune Trockensavanne zog sich bis zum Horizont, hier und da von Akazien und Dornbüschen durchsetzt, in der Ferne ragten einzelne Inselberge und Bergketten aus der Ebene auf. Samburuland. Am Straßenrand lagen einige kleine Dörfer, bestehend aus einfachen Rundhütten aus Lehm, meist von einem Gral aus dürren Ästen und Zweigen umgeben. Unterwegs begegneten uns einige Samburu in ihren traditionellen Kleidern, deren leuchtende Farben, zumeist rot und gelb, einen schönen Kontrast zu der sonst so kargen Landschaft bildeten. Die Frauen trugen mehrere Reihen bunter Perlen um den Hals und schöne, ebenfalls Perlen besetzte Stirnbänder. Die Ebene vor uns flirrte vor Hitze, der Schweiß stand uns auf der Stirn. Statt Asphaltstraße gab es ab jetzt nur noch Staubpisten, die uns mit dem großen Nachteil unseres halb offenen LKW konfrontierten: Innerhalb kürzester Zeit war alles mit rötlichem Staub übersät, Gesicht, Haare, Kleidung, Gepäck. Afrika hautnah. Die Samburu Game Reserve bildete das erste „highlight“ unseres Trips. Auch wenn sie aufgrund der vorherrschenden Hitze und Dürre weniger Wildtiere beherbergt als die Nationalparks im Süden, trafen wir unterwegs doch nahezu alles an, was Ostafrikas Fauna an Großsäugern zu bieten hat: Elefanten, Giraffen, Zebras, Löwen, Gazellen, Antilopen, sogar eine Gepardenfamilie. Dazu zahlreiche Vogelarten, farbenprächtige Schmetterlinge, viele Echsen und noch mehr Dornen. Letztere waren besonders unangenehm, da man ständig auf der Hut vor langen Dornenzweigen sein musste, die seitlich an unserem Truck entlang schrabbten. Am frühen Nachmittag erreichten wir den Zeltplatz, eine weitgehend vom Savannengras befreite und von hohen, Schatten spendenden Akazien eingerahmte Fläche inmitten des Nationalparks. Dort stellte sich heraus, dass wir zwei Zelte zu wenig hatten. Die vorhandenen befanden sich in mehr oder weniger erbärmlichem Zustand. Nicht gerade professionell für eine Campingsafari. Zwei der Israelis, ein Engländer und ich zählten zu denjenigen, die kein Zelt hatten ergattern können. Unsere Tourbegleitung kümmerte dies allerdings wenig. Sie zog es vor, sich mit ein paar Flaschen warmem Tusker* in den Schatten zu verkrümeln und sich nicht zuständig zu fühlen. Während die anderen ihre Zelte aufbauten, spazierten wir über das Gelände, fragten immer wieder unermüdlich nach, wie das Zelt-Problem jetzt am besten zu lösen sei, ohne jedoch etwas zu erreichen. Allmählich verdüsterte sich unsere Laune. So afrikanisch sollte unsere erste Nacht in der Wildnis nun auch wieder nicht werden. Dennoch spannte ich für den Notfall mein Moskitonetz unter einer Akazie auf. Zumindest würde es reichen, um nicht von den Mücken aufgefressen zu werden. Doch die Nächte im Hochland sind kalt, dieser Aspekt behagte mir am Wenigsten. Der Engländer folgte fluchend meinem Beispiel, die Israelis warfen die Flinte jedoch nicht so schnell ins Korn und begannen zu mahnen, zu zetern, zu drohen, zu schimpfen, doch unsere Guides blieben weiterhin ignorant und Bier trinkend sitzen. Als nach Einbruch der Nacht noch immer nichts geschehen war, solidarisierten sich nach dem Abendessen mit Ausnahme der Holländer, die die besten Zelte erwischt hatten, alle übrigen Safariteilnehmer mit unserem Anliegen, was endlich Bewegung ins Spiel brachte und unsere Guides veranlasste, bei einer am frühen Abend angekommenen afrikanischen Safarigruppe nach Leihzelten zu fragen, was dann auch im Handumdrehen von Erfolg gekrönt wurde, womit wir nun diejenigen mit den komfortabelsten Zelten waren. Die Nacht entschädigte für vieles. Das Lodern des Lagerfeuers, der sternklare Himmel, das Zirpen der Grillen, schwer zu deutende Tierlaute aus der Savanne – ja, das war das Afrika, das wir uns erträumt hatten. Am folgenden Tag holte uns die Realität wieder ein. Unser Truck entpuppte sich zunehmend als Wrack, das ständig Probleme bereitete, der Fahrer outete sich zunehmend als Trinker, der ganz offenkundig weder über Fahrerfahrung im Gelände verfügte noch mit unserer Route so recht vertraut schien. Wie jedoch eine Flasche Tusker möglichst rasch zu leeren war, musste ihm keiner vormachen. So hoppelten wir polepole* über hügelige Staubpisten durch die Hitze, einerseits berauscht von der fantastischen Landschaft um uns herum, andererseits leicht verärgert über die zahlreichen kleineren Pannen, die uns Auto und Fahrer bescherten. „Don’t give up, your miracle is on the way“, versuchte uns ein Aufkleber hinten auf der Ladeklappe immer wieder aufzumuntern. Nun gut, das ist eben Safari. Und streng betrachtet hatten wir auch nur zwei richtige Pannen, doch diese kosteten uns zusammen genommen vier Stunden – wertvolle Zeit angesichts des straffen Zeitplans. Schließlich erreichten wir nach einem letzten steilen Anstieg, den der LKW nur mit größter Mühe schaffte, die Hochebene von Maralal. Dort wimmelte es geradezu von Zebras, Buckelrindern und Kamelen, dazu sahen wir Samburuhirten in leuchtend roten Gewändern und buntem Schmuck, nicht zuletzt die obligatorischen winkenden Kinder am Wegrand. Maralal erreichten wir am frühen Abend. Der Ort war ein echtes Wüstenkaff, einer Wildweststadt nicht unähnlich, klein und staubig, überall Samburu, aber noch mehr aufdringliche Souvenirverkäufer. Um das Problem mit den fehlenden Zelten zu umgehen, wurden wir in ein einfaches Guesthouse einquartiert, was uns angesichts der abendlichen Kühle und des Zustands der vorhandenen Zelte nicht unrecht war. Um acht Uhr des nächsten Morgens sollte es weiter gehen, doch daraus wurde zunächst nichts: Der Truck weigerte sich, anzuspringen. „It’s only the battery“, verkündete der Fahrer lapidar. – Ja, das kannten wir, das hieß es am Vortag auch ständig ... Und die Reifen sahen auch alles andere als Vertrauen erweckend aus. Nun denn, so hatten wir etwas Zeit, das Städtchen näher zu erkunden. Sofort schoben sich kleine Hände in die unseren, ein weiterer Tross Kinder folgte uns auf dem Fuße und auch die Souvenirhändler hatten uns sogleich als Beute entdeckt und scharten sich um uns. So machte der Stadtbummel nicht wirklich Spaß, ganz abgesehen davon, dass es nichts Besonderes zu sehen gab. Tatsächlich stellten wir wazungu das highlight des Tages dar, zumindest für die Einheimischen. Bald schon zogen wir uns auf die Terrasse des Guesthouses zurück und fragten uns, ob wir unser Ziel, den Lake Turkana, wirklich noch erreichen würden. Gegen Mittag ging es tatsächlich weiter, heia Safari! Allerdings währte unsere Freude nur kurz, legten wir doch nach etwa 200 Metern schon unseren ersten unfreiwilligen Stopp ein. Ja, ja, schon klar, it’s only the battery, hakuna matata*. Der darauf folgende Fahrtintervall dauerte etwas länger, gute zehn Minuten immerhin ... So ging es den ganzen Nachmittag über. Man stieß innerlich schon Dankesgebete aus, wenn der Truck sich nur irgendwie wieder in Bewegung setzte, mühsam schnaufend seine Fracht bergan zog und irgendwann auch oben ankam. Hätte es Blumen am Wegrand gegeben, wir hätten riesige Sträuße nebenher pflücken können. Die Landschaft aber war schlichtweg atemberaubend, Kenyas bezaubernde, trockene Bergwelt des Nordens mit ihrer Weite und Einsamkeit zog uns sofort in ihren Bann. Hin und wieder entdeckten wir Antilopen und Strauße in der Savanne, kleine Hirten mit ihren Ziegenherden, winzige Dörfer. Gegen Abend erreichten wir den Ort Baragoi, ein ruhiges, beschauliches Straßendorf mitten im Nirgendwo. Hier stellte sich die Frage: Bleiben oder weiterfahren? Fakt war, dass wir gerade mal die Hälfte unseres heutigen Pensums geschafft hatten, der Lake Turkana war noch fern und gleich würde es dunkel werden. Für die Erörterung dieses Problems wurde uns großzügig Zeit gelassen, denn zur Abwechslung war am Truck wieder eine kleinere Reparatur erforderlich. Bestimmt wieder die Batterie … So schwärmten wir erst einmal in kleineren Gruppen in die vorhandenen Restaurants aus, denn wir hatten trotz gebuchter „Vollpension“ den ganzen Tag über nichts zu Essen bekommen und unsere Mägen knurrten hungrig. Baragoi werde ich als sehr angenehmen Ort in Erinnerung behalten mit sehr freundlichen Einwohnern. Statt aufdringlicher Souvenirverkäufer begegneten uns hier nur nette Menschen, die begierig darauf waren, sich mit uns zu unterhalten, Meinungen auszutauschen und Neues zu erfahren.Gegen zehn Uhr abends setzten wir unsere Ochsentour nach einstimmigem Beschluss fort. Nicht, weil wir etwa masochistisch veranlagt waren, sondern weil alle die Safari hauptsächlich wegen des Lake Turkana gebucht hatten und diesen wenigstens für ein paar Stunden sehen wollten. Im Nachhinein würde ich von einer Nachtfahrt von Baragoi in Richtung Norden dringend abraten, sofern es sich irgendwie vermeiden lässt. Es war im wahrsten Sinne des Wortes das härteste Stück Piste, eine regelrechte Tortur. Wir holperten über Stock und Stein, wurden geschüttelt und durchgerüttelt, und das alles im völligen Dunkeln. An Schlaf war nicht zu denken und das Landschaftspanorama blieb uns ebenfalls vorenthalten. Es kam wie es kommen musste und wir blieben irgendwann im Wüstensand stecken. Also alles aussteigen, Äste sammeln und in die Fahrrinne legen und kräftig schieben, um unser Gefährt wieder auf Spur zu bringen. Ein bisschen Nachtsport kann bei der vielen Sitzerei schließlich nicht schaden. Die folgende Panne war uns dann beinahe schon eine willkommene Unterbrechung des Gerüttels. Doch irgendwann ging es wie durch ein Wunder immer wieder weiter. Hakuna matata. Ja, sie haben schon Recht mit ihrem Optimismus, die Kenyaner. Kurz nach Sonnenaufgang erreichten wir dann tatsächlich das Camp, völlig gerädert und todmüde – beides in der Tat hervorragende Voraussetzungen für eine genauere Erkundung des Lake Turkana … Das Camp war eine Art Palmenoase inmitten der Wüste mit zwei überdachten und zur Seite offenen Steingebäuden mit Matratzen auf dem Boden, auf welchen wir dann auch ungeachtet der zahlreichen Fliegen und des Flugsands die folgenden Stunden schlafend zubrachten. Gegen elf Uhr wurde uns dann tatsächlich ein Frühstück serviert und damit der neue Tag offiziell eingeläutet. Der Lake Turkana-Tag, Ziel unserer Exkursion und hoffentlich das Ende aller Strapazen, denn für die Rückfahrt nach Nairobi war uns die Einhaltung des Zeitplans relativ egal. Doch zuvor mussten wir uns erst einmal wieder von einer Horde Wilder in einigermaßen zivilisiert aussehende Menschen zurück verwandeln, immerhin war es 24 Stunden her, dass wir zuletzt mit Wasser und frischen Kleidern in Berührung gekommen waren, und das bei der Hitze und den Staubpisten. Von oben bis unten waren wir rötlich-grau eingestaubt, die Haare fühlten sich strohig an, als wenn man versehentlich zu viel Haarfestiger verwendet hätte – was tat diese lang ersehnte Dusche doch gut. Wasser im Überfluss, und das Dank des Sees mitten in der Wüste! In der Mittagshitze brachte uns der Truck schließlich zur El Molo Bay und damit mit 24-stündiger Verspätung an den See, der türkis in der Sonne glitzerte und funkelte. Der Lake Turkana ist nach dem Nomadenvolk der Turkana benannt. Er erstreckt sich 250 km weit durch Kenyas trockenste Region und ist damit der größte permanente Wüstensee der Welt. Seine Uferlinie ist länger als die gesamte kenyanische Küstenlinie und sein Wasser wechselt ständig sein Gesicht: Eben noch tiefblau, schimmert er im nächsten Moment türkis bis smaragdgrün. An seinen Ufern kann man zahlreiche Vögel beobachten, auch Zugvögel aus Europa, seltener dagegen sind Hippos und Krokodile geworden. Wäre die Hitze nicht so unerträglich oder gäbe es am Ufer auch nur einen Schattenflecken – ich hätte stundenlang am Flussufer sitzen und die Stille und das Farbenspiel des Wassers genießen können. Aber wir waren ohnehin knapp an Zeit und so schloss ich mich der Mehrheit an, die das El Molo Camp besuchte, das Dorf der El Molo, die Kenyas zahlenmäßig kleinste Ethnie stellen. Einer der Engländer hatte seine Angel mit dabei, mietete sich ein Boot und fuhr zum Fischen hinaus, zwei Holländer ließen sich zurück ins Camp fahren, ihnen bekam die Hitze nicht. Das El Molo-Dorf liegt direkt am Flussufer, denn im Gegensatz zu den Turkana sind sie keine Nomadenhirten, sondern Fischer. Wieder waren wir direkt von einer Schar Kinder umringt, die unsere Hände ergriffen und uns durch ihr Dorf begleiteten, das aus einfachen runden Strohhütten besteht. Ein paar Matten, Stoffbündel, etwas Plastikgeschirr, das war in etwa die Standardeinrichtung der kleinen Behausungen. Dazwischen liefen ein paar Ziegen auf der suche nach etwas Essbarem herum, Fische hingen an einfachen Holzkonstruktionen zum Trockenen aus. Außer dem See gab es nichts, was das Auge hielt. Mir schien es, als wären erneut wir mehr die Attraktion für die El Molo als umgekehrt, doch der Eindruck mochte täuschen, waren wir doch weder die ersten noch die letzten wazungu, die ihr Dorf besuchten. Den Sonnenuntergang verbrachte ich mit den Deutschen außerhalb des Dorfes am Seeufer. Der Boden wimmelte geradezu von versteinerten Muscheln, bizarr verwitterten Steinen und Tierknochen. Wir vertrieben uns die Zeit mit Steineklopfen, bis die Sonne mit einem Mal wie ein Stein vom Himmel fiel und Mond und Sternen die Himmelsbühne überließ. Afrikanische Nacht, mitten in der Wüste, am Ufer des Lake Turkana – es fällt mir schwer, meine Empfindungen in Worte zu fassen, doch ich fühlte mich sehr glücklich. Auf dem Rückweg zum Camp begegnete uns ein Turkana, der aus dem Nichts zu kommen schien und uns schweigend begleitete. Auf einmal stimmte er eine schöne Melodie an, erst summend, dann artikuliert, allerdings in einer uns unverständlichen Sprache. Es klang wie „ja-ja, ja-ja, hugaro …“, mehr konnte ich mir nicht merken. Spontan stimmten wir jeweils im Wechselgesang mit ihm ein, es war einfach nur schön. Aus irgendeinem Grund schossen mir die Tränen in die Augen, als ich singend in den funkelnden Sternenhimmel blickte, so glücklich war ich. Als wir am nächsten Morgen schweren Herzens die Rückfahrt antraten, passierte uns das Beste, was uns mit dem Wrack passieren konnte, auch wenn es zunächst schmerzhaft war. Unser angetrunkener Fahrer raste wie von der Tarantel gestochen über den unebenen Wüstenboden (wahrscheinlich mit dem Gedanken an ein kühles Tusker in Nairobi im Hinterkopf), als uns plötzlich eine Serie fürchterlicher Schläge erschütterte, die uns zuerst etwa einen halben Meter in die Höhe schnellen ließen und anschließend brutal von unseren Sitzen rissen, wobei alle übereinander nach vorne purzelten. Dann Stille, leises Stöhnen und Wimmern. Mein Kreuz tat für einen Moment höllisch weh, aber andere hatte es schlimmer getroffen: Ein stark blutendes Ohr, aufgeschürfte Knie und Ellbogen, verrenkte Gliedmaßen, doch zum Glück nichts, was sich letztendlich nicht mit Bordmitteln und dem sachkundigen Knowhow eines zum Rettungssanitäter ausgebildeten Deutschen verarzten ließ. Was passiert war? – Unser Fahrer, den das ganze Geschehen wieder nur mäßig interessierte, hatte den Truck mit Karacho in ein tiefes, ausgetrocknetes Flussbett gesetzt, wobei die Achse des linken Vorderrads brach und uns damit das vorläufige Ende unserer Safari bescherte, und das mitten in der Wüste. Glück im Unglück, im Nachhinein gesehen. Immerhin blieb uns die Rückfahrt in dem Vehikel erspart, auch wenn zunächst unklar war, wie es überhaupt weitergehen sollte. Wir spazierten am Flussufer entlang, sammelten noch ein paar hübsche Versteinerungen und harrten auf Rettung. Ein starker Wind fegte über das Plateau und machte das Klima erträglicher, staubte uns aber auch wieder von Kopf bis Fuß ein. Doch egal. Da wir alle mehr oder weniger mit dem Schrecken davon gekommen und den Truck endgültig los waren, blickten wir – in unserer Denkweise mittlerweile doch schon etwas afrikanisiert - optimistisch in die nahe Zukunft. Und zu Recht: Irgendwann sahen wir in der Ferne die unverkennbare Staubwolke eines herannahenden Fahrzeugs, welches sich Minuten später als ein zur Hälfte mit Ziegenfellen beladener Transporter entpuppte. Doch konnte man in unserer Situation wählerisch sein? Natürlich nicht, und so wurde der Truck nach zähen Verhandlungen unserer Crew mit dem Fahrer zu unserem neuen Transportmittel. Alles Gepäck wurde kurzerhand auf die Ziegenfelle geladen, zu guter letzt stiegen wir auf und machten es uns auf dem weichen Polster bequem. Zwar war der Geruch gewöhnungsbedürftig, doch vom Sitz- bzw. Liegekomfort hatten wir einen erheblichen Fortschritt erzielt. Wie man auf einer Safari seine Ansprüche doch zurückschrauben kann! Für mich war diese Fahrt auf dem Ziegenfell-Truck eines meiner eindrücklichsten Erlebnisse in Kenya. Hoch oben auf dem Rand der Ladeklappe sitzend, mich am Gestänge der Plane festhaltend, es einfach genießend, zu fahren, in den Sonnenuntergang blickend, den Geruch von Afrika in der Nase, den Fahrtwind in den Haaren … Vor lauter Freude hätte ich am liebsten die ganze Zeit über lachen und singen und mit niemandem auf der Welt tauschen mögen. Baragoi erreichten wir etwa vier Stunden eher, als unser Wrack es geschafft hätte, in Maralal waren wir mitten in der Nacht. Hier war unsere Ziegenfell-Etappe zu Ende. Schade. Am nächsten Morgen zeigte der Safariveranstalter aus Nairobi Präsenz und zwar in Form eigens für uns angeheuerter, nagelneuer und mit Aircondition ausgestatteter Minibusse, die zwar recht bequem waren, dennoch vermisste ich den Ziegenfell-Truck. Zur Ehrenrettung des Safariveranstalters muss ich anmerken, dass er mit uns als Ausgleich für die zahllosen Pannen unseres Trips als kostenlose Dreingabe noch zwei kurze Abstecher zu den heißen Quellen und Geysiren des Lake Bogoria und an den Lake Baringo unternahm, was sehr schön war, ihn andererseits aber auch nichts kostete, da die beiden Seen praktisch auf dem Weg lagen. Die Holländer sahen das auch so und wollten ihn doch noch etwas mehr bluten lassen. So rangen sie ihm obendrein noch eine Einladung für alle zu einem pompösen Dinner in einem gehobenen Hotel in Nairobi ab. So ging die Lake Turkana Safari dann doch noch einigermaßen versöhnlich zu Ende und nach dem opulenten Dinner schwieg sogar Speaktoria andächtig für etwa eine halbe Minute. Wir hatten viel gesehen, viel durchgemacht, viel erlebt. Ich glaube, so schnell wird diesen Trip keiner der Teilnehmer vergessen. Jetzt, wo ich dies alles in meinem Hotelbett in Nairobi niederschreibe, kommen mir die letzten zehn Tage irgendwie unwirklich vor und über unsere unzähligen Pannen kann ich sogar schon wieder lachen. Ja, ich denke, ich werde bald schon wieder auf Safari gehen - „Don’t give up, your miracle is on the way“! __________________ Fußnoten:
___________________ © Silke
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