Buchtipps Frankreich, Spanien, Portugal

 

 

 

 

 

Simone de Beauvoir:

 Die Mandarins von Paris

(franz.: Les Mandarins)

 

 

 

 

Die „Mandarins von Paris“ ist ein Meisterwerk Simone de Beauvoirs (1908 - 1986), in welchem private Schicksale
und Zeitgeschichte perfekt miteinander verknüpft sind.
Dank einer präzisen Herausformung unterschiedlicher und erfrischend lebendiger Charaktere und einer
äußerst dichten, an keiner Stelle langweiligen Erzählweise ist ihr ein hervorragender zeitgeschichtlicher
Roman über die politische Entwicklung in Frankreich in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg gelungen.

Schauplatz der Geschichte ist Paris - wenn auch Abstecher in die USA, nach Mexico oder Portugal enthalten sind.
Auf zwei Erzählebenen wird der Leser am Beispiel des Journalisten Henri und der Psychologin Anne in die
Welt der Pariser Intellektuellen entführt. Interessant hierbei ist der Erzählstil:
Während die Geschichte Henris in der dritten Form geschrieben ist, kommt die Psychologin Anne bei der Darstellung
ihrer Erlebnisse und Sichtweisen direkt zu Wort, was ihrem Charakter noch mehr Tiefe verleiht.
Als Ehefrau der Hauptfigur der „Mandarins“ steht sie eher abseits der politischen Diskussion,
sucht lieber nach ihrem persönlichen Glück als nach einem möglichen Allgemeinwohl.
Daraus ergibt sich eine für den Leser spannende und schöne Liebesgeschichte, welche die
Autorin hervorragend in die Rahmenhandlung einzubetten versteht.

Aus Henris Geschichte dagegen gehen die ganze Zerrissenheit und der Zerfall der einst durch die Résistance
geeinten Pariser Intellektuellen sowie der Niedergang des französischen Kommunismus hervor.
Aber auch hierbei kommen das Thema Liebe und die mit ihr verbundenen Probleme nicht zu kurz und wird
mit den politischen Fragen der damaligen Zeit verwoben. Dies wird am deutlichsten, als Henri vor die Wahl
gestellt ist, aus vermeintlicher Liebe zu einer Frau vor Gericht einen Meineid zu schwören oder
einen Denunzianten zu überführen.

Ein hervorragendes Zeitdokument und ein meisterhafter Roman.


Mehr von Simone de Beauvoir:

Sie kam und blieb

Das Blut der anderen

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Marcelle, Chantal, Lisa, …

u.v.m.

 

 

 

 

Virginie Despentes:

Das Leben des Vernon Subutex (1-3)

 

 

 
Durch Zufall bin ich auf diese nicht nur in Frankreich begeistert gefeierte Großstadt-Trilogie der Autorin Virginie Despentes gestoßen,
die von Kritikern mit Balzac und Zola verglichen oder als feministische Antwort auf Houellebecq bezeichnet wird.
In Windeseile habe ich die drei Bände verschlungen und muss sagen – Wow, ein wirklich gelungener Wurf:
Ein fesselnder, ungeschönter Roman aus dem wahren Leben und zugleich ein realitätsnahes Panorama unserer heutigen Gesellschaft,
nicht nur bezogen auf den Handlungsort Paris.

Worum geht‘s?

Band 1:
20 Jahre lang führte Vernon Subutex einen angesagten Kult-Plattenladen in Paris und ein Leben mit Sex & Drugs & Rock‘n’Roll,
bis plötzlich alles vor die Hunde geht und er von jetzt auf gleich zu den Verlierern der Digitalisierung zählt und
völlig mittellos auf der Straße steht. Was ihm zum Glück bleibt, ist eine lange Liste von Freunden, Bekannten
und Kontakten auf Facebook. Diese klappert er nun nach und nach ab, um mittels einer Notlüge jeweils für ein paar Tage
irgendwo unterzukommen, ohne auch nur ansatzweise einen Plan zu haben, wie sein Leben weitergehen soll.

Im Zentrum jedes Kapitels steht jeweils ein Charakter mit seinem individuellen Lebenshintergrund und seinen
persönlichen Ansichten zu gesellschaftlichen Themen. Da wären zum Beispiel

Xavier, der frustrierte, erfolglose Drehbuchautor mit rechtsextremen Ansichten;
Die attraktive Ex-Porno-Queen Pamela Kant (Nomen est omen …), die ein Lehrbuch für Kinder zum Thema Pornografie schreiben will;
Patrice aus der Vorstadt, der schnell mal zuschlägt, wenn seine innere Wut überbrodelt;
Der alleinerziehende Vater Sélim, der miterleben muss, wie ihm seine geliebte Tochter Aïcha mehr und mehr entgleitet;
Aïcha, die für sich den Islam als neuen Rückhalt gefunden hat und die ein für sie furchtbares Geheimnis aufdeckt …

So zeichnet Vernon’s ziellose Couchsurfing-Tour durch Paris das Bild einer urbanen Gesellschaft, deren Vertreter
infolge von Gentrifizierung und der Verarmung breiter Bevölkerungsgruppen überwiegend desillusioniert,
angsterfüllt und egoistisch sind und in der vor allem die Jungend zunehmend angepasst, materialistisch oder reaktionär ist.

Das neben Vernon und der Musik weitere Bindeglied zwischen all diesen höchst unterschiedlichen Charakteren ist der
an einer Überdosis verstorbene, ehedem sehr erfolgreiche Musiker Alexandre Bleach. Dieser hat seinem Freund Vernon ein
Vermächtnis in Form von drei Videobändern hinterlassen, die als sein letztes Interview gelten.
Während sich Vernon die Videos nicht einmal angeschaut hat, ist manch anderer sehr an diesen interessiert,
insbesondere der wohlhabende Filmproduzent Dopalet, der eine Undercover-Cyber-Aktivistin, „die Hyäne“, damit beauftragt,
ihm die Bänder zu beschaffen, wobei seine Gründe dafür zunächst im Dunkeln liegen.

Da Vernon nirgendwo lange bleibt und immer wieder verschwindet, starten seine vom schlechten Gewissen geplagten
Freunde schließlich unter #subutex im Netz eine Suche nach ihm, von der er selbst nichts weiß.

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Virginie Despentes erzählt knallhart, politisch unkorrekt und schonungslos, zugleich aber auch humorvoll
und erzählerisch sehr gekonnt. Ihre sehr direkte Sprache, vor allem auch wenn es um Sex geht, mag für manchen Leser
gewöhnungsbedürftig sein – aber so ist’s nun mal, willkommen in der Realität!
Ich kann mich nur den zahlreichen lobenden Kritiken an dieser Trilogie anschließen, die sich wunderbar
leicht lesen lässt, dabei aber dennoch nicht an der Oberfläche steckenbleibt.

Zu den folgenden zwei Bänden soll nur so viel verraten werden:

Bände 2 & 3:
Natürlich werden ihn seine Freunde finden – doch wie wird es weitergehen mit dem obdachlosen Vernon Subutex?
Welche gefährliche Wahrheit werden die Videobänder von Alex Bleach zutage fördern und welche Konsequenzen
wird diese für die Betroffenen haben? - Auch wenn sich die Hauptperson Vernon mehr und mehr zum Mittelpunk
und Fixstern der sich neu formierten Gemeinschaft entwickelt, die regelrecht um ihn kreist bzw. tanzt,
tritt er im 2. Band zugleich auch etwas in den Hintergrund, was Raum für die Weiterentwicklung der
anderen Charaktere schafft, bei denen es ebenfalls spannend weitergeht.

Im 3. Band ist die Geschichte um Vernon Subutex dann im Jahr 2015 angekommen, dem Jahr der Anschlagsserie
vom 13. November in Paris, deren Auswirkungen auf die Bevölkerung sich in den Protagonisten widerspiegeln.
Und die Konsequenzen aus der Enthüllung der Videobänder von Alex Bleach haben für zumindest eine Person furchtbare Folgen …
Das Ende ist letztlich vielleicht fast erwartbar, ganz am Schluss gibt es dann noch einen kurzen visionären Ausblick.
Ob man Letzteren jetzt wirklich gebraucht hätte, sei dahingestellt und ist letztendlich auch egal.
Es bleibt auf jeden Fall schrill, bunt und fesselnd erzählt!
 

 

 

 

 

 

Franz-Olivier Giesbert:

Ein Diktator zum Dessert

(franz.: La cusinière d'Himmler)

 

 

 
Trotz ihrer stolzen 105 Jahre betreibt Rose ein Restaurant in Marseille und ist sowohl in Gedanken als auch in Taten noch ungewöhnlich fit.
Nun schreibt sie ihre Memoiren und erzählt ihre ganz persönliche Reise durch die oft blutige europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Geboren 1907 am Schwarzen Meer muss sie als kleines Mädchen den Völkermord an den Armeniern hautnah miterleben.
Nur mit Glück kann sie ihr Leben retten und gelangt nach Frankreich, begleitet von ihrer kleinen Freundin, der Salamanderdame Theo,
die für Rose Heimat, Familie, Gewissen und Gegenstück zugleich ist.

Ihr Leben bleibt dennoch zunächst ein beständiges Auf und Ab, ein Fallen vom Regen in die Traufe, ein Kampf ums Überleben.
Doch nie verliert Rose ihren Lebensmut, der von ihrem unerschütterlichen Glauben „an die Macht der Liebe, des Lachens und der Rache“
immer wieder neu genährt wird. Eines Tages findet sie ihre große Liebe, kommt nach Paris und eröffnet dort ein Restaurant,
das schon bald eines der besten der Stadt wird. Doch der zweite Weltkriegt naht und in der Hoffnung, ihre Lieben
retten zu können, muss Rose sich im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Teufel einlassen.
Nach Ende des Krieges kehrt sie nach Frankreich zurück, wo sie eine missglückte Racheaktion an einer Person auf ihrer „Hassliste“
zur Flucht in die USA zwingt - um einmal wieder neu anzufangen …

Fazit:
Ein locker geschriebener, abwechslungsreicher und stellenweise sehr humorvoller „Easy Reader“, eingebettet in die Geschichte des
20. Jahrhunderts und gewürzt mit einigen (im Guten wie im Bösen) bekannten Vertretern dieser Epoche.
 

 

 

 

 

Jean-Michel Guenassia:

Der Club der unverbesserlichen Optimisten

(franz.: Le club des Incorrigibles Optimistes)

 
 

 

Der Roman spielt im Paris der frühen 1960er Jahre und ist eine Mischung aus "Coming-of-Age" (Entwicklungsroman), Familiendrama und
europäischer Zeitgeschichte in politsich turbulenten Zeiten - stets gewürzt mit einer guten Prise Humor und Optimismus.


Der Ich-Erzähler Michel Marini, anfangs gerade mal zwölf Jahre jung, interessiert sich nicht für die Schule, spielt dafür
lieber Tischfußball oder Schach, fotografiert gerne und liebt vor allem das Lesen von Büchern - sowohl während des Schulunterrichts
als auch im Gehen durch die Straßen von Paris. In den Jahren bis zu seinem Abitur ist sein Leben geprägt von Problemen in der Schule,
Ärger mit der Familie, vom Einzug des Rock'n'Roll und der ersten Liebe, das Ganze vor dem politischen Hintergrund des kalten Kriegs
und vor allem des Algerienkriegs, zu dem sich sein sieben Jahre älterer Bruder Franck freiwillig meldet. Den Fortgang des Bruders
kompensiert Michel durch die Freundschaft zu dessen Freundin Cécile, deren Bruder Pierre ebenfalls in den Algerienkrieg zieht.
Mit ihr verbringt er einen Großteil seiner Freizeit, am liebsten im Jardin du Luxembourg am romantischen Médicis-Brunnen.
Doch nichts ist von Dauer und alles entwickelt sich anders als erhofft. Im Verlauf der Ereignisse und Jahre
empfindet Michel sein persönliches Umfeld zunehmend als Wüste, da einer nach dem anderen der ihm Nahestehenden
plötzlich fort ist oder ihn verlässt.


Eines Tages entdeckt er im Hinterzimmer eines Bistros den »Club der unverbesserlichen Optimisten«, einen Treffpunkt heimatloser,
politischer Flüchtlinge aus verschiedenen Ostblock-Staaten, an dem auch Jean-Paul Sarte ab und zu anzutreffen ist. Die durchweg viel älteren
Clubmitglieder akzeptieren den jungen Michel und in Rückblicken erfährt man ihre Geschichten und Beweggründe, weswegen sie ihre Heimat
und ihre Familien fluchtartig verlassen mussten. Mit dem geheimnisvollen Sascha, der in einem Fotogeschäft arbeitet und

dem die Clubmitglieder aus unbekannten Gründen feindselig gegenüberstehen, freundet sich Michel näher an. Erst am dramatischen Ende
des Romans wird dessen tragischer Hintergund aufgelöst und mit den Geschichten einiger der Clubmitglieder verwoben.


Zugegeben: Der Roman wimmelt geradezu von Charakteren, Lebensgeschichten und Nebenschauplätzen.
Andererseits hat man auf 680 Seiten auch hinreichend Zeit, diese kennenzulernen.
Schön formulierte Sätze und ein durchweg sprachlich unterhaltsamer Plauderton machen das Lesen leicht und bringen
auch vermeintlich "schweren" Stoff verständlich rüber, u.a. über osteuropäische, v.a. russische Zeitgeschichte nach dem 2. Weltkrieg.

Was mir in diesem Buch besonders gefällt, ist das Lokalkolorit von Paris. Auch wenn die meisten der Protagonisten und ihre Geschichten
aus Osteuropa stammen - die Stadt ist stets präsent und ein prägender Schauplatz der Handlung.
Insbesondere der immer wieder beschriebene und erwähnte Treffpunkt am Médicis-Brunnen mit seinen wunderschönen

Marmorstatuen der Liebenden Galatea und Acis im Jardin du Luxembourg vermittelt mir unmittelbar das Gefühl,
gemeinsam mit den Protagonisten mitten in Paris zu sein.


Völlig irreführend erscheinen mir allerdings das Coverfoto sowie der Text auf dem Buchrücken:
Die abgebildeten Personen passen nicht zu den im Roman beschriebenen, auch sind die Protagonisten nie mit einem Hund unterwegs
und überhaupt gibt es diese gesamte Szene nicht im Buch! Wer dieses Foto sieht, denkt an eine Liebesgeschichte - und wird damit völlig irregeführt.
Besagter Text unterstützt den durch das Foto gewonnenen, falschen Eindruck. Sicher geht es in dem Roman auch um Liebe - die erste große Liebe
oder die Liebe zum Heimatland. Doch das eher am Rande. Viel mehr geht es um Heimatlosigkeit, Verlorenheit, das
Erwachsen- und Verlassenwerden, eingebettet in den Rahmen eines Epochenbilds des Paris der 1960er Jahre.

Ein wirklich sehr schön geschriebenes Buch, das verdientermaßen 2009 in Frankreich mit dem »Prix Goncourt des lycéens« ausgezeichnet wurde.
 

 

 

 

Jean-Michel Guenassia:

Eine Liebe in Prag

(franz.: La vie rêvée d'Ernesto G.)

 

 

 

Auch in Jean-Michel Guenassias zweitem Roman ist die Rahmenhandlung in europäische Zeitgeschichte eingebettet,
diesmal am Beispiel der Lebensgeschichte eines Arztes aus der ehemaligen Tschechoslowakei, Josef Kaplan, der Mitte
der 1930er Jahre zum Medizinstudium nach Paris kommt und im Anschluss an daran seine erste Forschungsstelle in
Algier antritt, das damals noch zu Frankreich gehört. Seine jungen Jahre sind geprägt von flüchtigen Liebschaften,
die er stets rasch wieder vergisst, und seiner beständigen Liebe zur Musik, vor allem zum Tango- und Walzertanzen.
Dabei tauchen im Lauf der Erzählung mit Maurice Delaunay und dem tschechischen Flüchtling Pavel auch
Charaktere aus Guenassias ersten Roman „Der Club der unverbesserlichen Optimisten“ wieder auf.

Während seiner Zeit in Algier lernt Josef seine spätere Frau Christine kennen, mit welcher er gegen Ende des
zweiten Weltkriegs in seine Heimatstadt Prag zurückkehrt. Hier etabliert er sich in den folgenden Jahren als Arzt
und tritt - wie so viele andere auch - aus Überzeugung und im Glauben an Freiheit und Gerechtigkeit der
kommunistischen Partei bei. Im Lauf der Jahre wandelt sich deren Ausprägung jedoch radikal und richtet sich
zunehmend gegen das Volk, dessen Freiheit und Grundrechte, und auch privat ereilen Josef überraschende,
schwerwiegende Verluste, die sein weiteres Leben verändern werden. Als weitere große Überraschung taucht gegen
Ende des Romans, als seine Tochter Helena bereits eine junge Erwachsene ist, ein bekannter zeitgeschichtlicher
Charakter auf und spielt eine kurze, jedoch keine unbedeutende Rolle in Josefs und Helenas Leben.

Wie schon beim Vorgänger-Roman ist auch hier der Titel irreführend: Es geht nämlich nicht, wie man meinen könnte,
um eine klassische Liebeserzählung, sondern wiederum um eine Mischung aus Entwicklungsroman und Familiensaga
vor geschichtlichem Hintergrund. So ist der Protagonist Josef erst ab Mitte des Buches mit Christine zusammen und
auch erst ab dann spielt die Geschichte (vor allem) in Prag.
Andererseits ist der französischen Originaltitel nicht weniger irritierend („La vie rêvée d’Ernesto G.“).

Im direkten Vergleich hat mir „Der Club der unverbesserlichen Optimisten“ zwar noch besser gefallen, aber
wahrscheinlich liegt das am Paris-Flair des Erstlingswerks sowie am Protagonisten: Der junge, unbedarfte Michel ist
mir persönlich einfach sympathischer als Josef mit seinen Licht- und Schattenseiten, der mir bis zum Ende
irgendwie etwas fremd bleibt. Dennoch ist „Eine Liebe in Prag“ ein gekonnt erzählter und empfehlenswerter Roman!

 

 

 

 

Jean-Claude Izzo:

Aldebaran

(franz.: Les marins perdus)

 

 

 

Seit Wochen hängt der Frachter Aldebaran im Hafen von Marseille fest, da der Reeder bankrott gegangen ist.
Keiner der Seeleute weiß, wie es weiter gehen soll, doch eins scheint klar:
Auf derAldebaran gibt es für sie keine Zukunft.
So verlässt der Großteil der Besatzung das Schiff, zurück bleiben lediglich der libanesische Kapitän Abdul,
sein erster Offizier Diamantis sowie der türkische Funker Nedim. Ohne die Weite des Ozeans zwischen sich
wird ihnen plötzlich bewusst, welche Leere zwischen ihnen herrscht, wie wenig sie sich kennen, obwohl
sie lange Zeit zusammen zur See gefahren sind, und wie ungewiss ihre Zukunft ist.
So hängt jeder für sich seinen eigenen, schmerzhaften Erinnerungen an eine verlorene Liebe,
ein verlorenes Leben nach und versucht auf seine Weise, mit der bitteren Vergangenheit abzuschließen.

Der italienischstämmige Marseiller Jean-Claude Izzo (1945 - 2000) versteht es meisterhaft, mit wenigen Worten
viel auszudrücken: Die Härten des Schicksals, unterschwellige Gefühle, die Hitze der Stadt.
Ein fesselndes Buch über das Leben und nicht zuletzt über Marseille, den Ort, an dem sich niemand als Fremder fühlt,
wo Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der drei Gestrandeten zusammenlaufen.

 

 

 

 

 

Jean-Claude Izzo: Die Marseille-Trilogie

(franz.: La trilogie Fabio Montale)

 

 

 

  Die „Marseille-Trilogie“ umfasst die Kriminalromane „Total Cheops“, „Chourmo“ und „Soleia“ des aus Marseille
stammenden und im Jahr 2000 verstorbenen Autors Jean-Claude Izzo. Alle drei Bände spielen in Marseille und handeln
letztendlich von Mord und Verbrechen - mindestens ebenso wichtig sind Izzo jedoch die gesellschaftspolitischen Aspekte der
multikulturellen Mittelmeermetropole. So spielen seine Geschichten bevorzugt im Milieu der trostlosen, von
Einwandererfamilien dominierten Vorstädte, in denen Arbeitslosigkeit, Fremdenhass, Fundamentalismus, Kriminalität und
Perspektivlosigkeit den Alltag bestimmen.

Inmitten dieses kulturellen Schmelztiegels geht der desillusionierte (Ex-) Polizist Fabio Montale seinen Ermittlungen nach,
lässt den Leser an blutigen Schießereien und wilden Verfolgungsjagden teilnehmen und versinkt dabei immer tiefer
im tödlichen Sumpf der mafiös geprägten Marseiller Unterwelt. Doch trotz all der Gewalt geht es in den Geschichten auch
um Freundschaft, Liebe und die Sehnsucht nach einem harmonischen Miteinander.

Eigentliche Hauptfigur der drei Romane jedoch ist die Stadt selbst. Selten gelingt es einem Autor, neben einer
spannenden Erzählung die Licht- und Schattenseiten des Handlungsortes so realitätsnah und poetisch, so schonungslos und
liebevoll zugleich darzustellen wie in dieser Trilogie. Izzo führt den Leser durch pulsierende Hauptverkehrsstraßen,
dunkle Gassen, in versteckte Szenekneipen (wie z.B. der Bar des 13 Coins im Panier-Viertel, siehe Buchcover)
und zuweilen auch einfach zum Fischen hinaus aufs Meer. Dazu gibt es immer wieder leckere Gerichte aus der
regionalen Küche, z.B. die aus Marseille stammende Bouillabaisse sowie den einen oder anderen Tropfen Pastis.

Fazit: Drei spannende, nicht ganz triviale Kriminalfälle und eine Liebeserklärung an Marseille und seine Menschen!

 

 

 

 

 

Mein Jahr in der Provence & Toujours Provence

(franz.: Une année en Provence)

 

 

 

Der Engländer Peter Mayle und seine Frau haben sich einen Traum verwirklicht und im Lubéron, genauer gesagt in Ménerbes, ein Haus gekauft.
In zwölf heiteren, humorvollen Kapiteln, die sich an den Monaten eines Jahres orientieren, erzählt er in "Mein Jahr in der Provence"
von ihrem ersten Jahr in der neuen Wahlheimat. Dabei geht es um Probleme bei der Termingestaltung mit den einheimischen Handwerken,
mit der französischen Sprache, merkwürdige und liebenswerte Eigenheiten der Provencalen, Zauber und Schönheit der Landschaft
sowie immer wieder um kulinarische Genüsse, die dem Leser das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen.

Toujours Provence" ist der Folgeroman auf "Mein Jahr in der Provence" und setzt sich inhaltlich in ähnlicher Weise
in Form kleiner Anekdoten fort.
"Große" Literatur darf man dabei nicht erwarten: Beide Bände plätschern leicht dahin und
sind stellenweise recht klischeehaft geraten. Egal - die Bücher sind eine schöne Liebeserklärung an die Provence und ihre Menschen,
machen Sehnsucht nach Südfrankreich und Appetit auf ein leckeres Menü - bon appétit!

 

 

 

Marcel Pagnol:

Eine Kindheit in der Provence

(franz.: La gloire de mon père)

 

 

 

Eine weitere Liebeserklärung an die Provence sind die Kindheitserinnerungen des gebürtigen Marseillers Marcel Pagnol (1895 - 1974).
Indem die Eltern des Elfjährigen beschließen, die großen Ferien bei Onkel Jules in der Estaque zu verbringen,
bescheren sie Marcel den Sommer seines Lebens. Beladen mit Unmengen von Gepäck begibt sich die etwas chaotische,
fünfköpfige Familie mit einem Eselskarren auf den Weg. Humorvoll und einfühlsam versetzt Pagnol den Leser
in die Welt eines Kindes, in dessen Träume, Denkweise und Gefühlswelt, und lässt zugleich die wundervolle provenzalische
Landschaft erblühen und duften - das wohl schönste Buch über die Povence und eine Zeit, die längst vergangen ist.

 

 

 

Raymond Queneau:

Zazie in der Metro

(franz.: Zazie dans le métro)

 

 

 

Die zehnjährige Zazie verbringt zwei Tage bei ihrem Onkel Gabriel in Paris und will eigentlich nur eines:
Einmal mit der Metro fahren. Zu ihrer großen Enttäuschung wird diese jedoch gerade bestreikt und ihr
Wunsch bleibt unerfüllt. Stattdessen taucht sie in das Großstadtleben ein, besteigt den Eifelturm,
besucht eine Abendvorstellung der Tänzerin "Gaby" am Place Pigalle und lernt jede Menge
skurriler Gestalten kennen, u.a. den Kneipenwirt Turandot mit seinem Papageien Laverdure, die stets sanfte
Marceline, den zwielichtigen Trouscaillon, den schrägen Reiseführer Fedor Balanovic und die mannstolle
Witwe Mouaque.

Die lustige, bisweilen groteske, mit viel Wortwitz und Charme gespickte Erzählung ist hauptsächlich in
Dialogform geschrieben. Das Besondere und Erfrischende dabei ist der gelungene Mix der Sprachstile:
So sind die Dialoge überwiegend umgangssprachlich gehalten und von Slangausdrücken durchsetzt,
wobei einige Wörter in phonetischer Schreibweise wiedergegeben bzw. verdreht werden:
So kommt Zazie beispielsweise zu "Bludschins", trinkt "caco calo" und rätselt über
den Begriff "Hormosechsualität". Vor allem in den Erzählpassagen wechselt Queneau dann in
literarische Hochsprache, ohne aber dadurch der Handlung ihren Schwung zu nehmen.

Ein höchst amüsantes, kurzweiliges und bisweilen verrücktes Buch über Paris, urbanes Leben und die Alltagssprache.

 

 

Peter Kerr:

Im Tal der Orangen / Manana Manana

(engl.: Manana Manana - One Mallorcan Summer)

 

 

 

Wer Peter Mayles Erfahrungsbericht aus der Provence kennt (s. Rezension weiter oben auf dieser Seite) weiss, was ihn hier erwartet:
Auch der Schotte Peter Kerr hat es gewagt, hat seiner Heimat den Rücken gekehrt, um fortan mit seiner Frau und seinen beiden
Söhnen auf der Urlaubsinsel Mallorca zu leben. Doch nicht etwa in der Hauptstadt oder an einem schönen Strand, sondern
in einer abgelegenen Finca in der Nähe des Ortes Andratx mitten in den Ausläufern des Tramuntana-Gebirges, um dort eine
Orangenplantage zu bewirtschaften. Ähnlich wie Mayle zeichnet er humorvoll Bilder aus Geschichten des Alltags und
gewährt dem Leser dabei zahlreiche Einblicke in das mallorquinische Landleben und die mallorquinische Seele.
So wechseln sich unter anderem liebevolle Schilderungen der Nachbarn, Appetit machende Beschreibungen mallorquinischer
Gerichte und Anekdoten zu den Tücken der spanischen Sprache miteinander ab und wer als Leser zumindest ein wenig Spanisch versteht,
wird an einigen spanischen Sätzen und Wörtern zusätzliche Freude haben.

Insgesamt liest sich das Buch sehr leicht und eignet sich deshalb besonders für heiße Strandtage oder entspannte Leseabende -
vorzugsweise auf Mallorca, denn wer noch nie auf der Insel war, wird dem vielen Lokalkolorit nicht allzu viel abgewinnen
können bzw. an etlichen Details weniger interessiert sein als diejenigen, welche die Insel bereits etwas kennen.
In der vorliegenden Ausgabe sind übrigens gleich zwei Bücher in einem Band zusammen gefasst, die jedoch auch einzeln erhältlich sind.

 

 

 

Carlos Ruiz Zafón:

Der Schatten des Windes

(span.: La Sombra del Viento)

 
 

 

Carlos Ruiz Zafós entführt den Leser in das Barcelona zwischen 1945 und 1966, in die Zeit nach dem spanischen Bürgerkrieg
und der anschließenden Franco-Diktatur. Vor diesem politischen Hintergrund beginnt die Erzählung damit, dass
der zehnjährige Daniel eines Tages von seinem Vater auf den geheimnisvollen „Friedhof der Bücher“ geführt wird, wo er
sich ein Buch aussuchen darf. Der Zufall – oder das Schicksal – will es, dass ihm dabei ein seltenes Werk des
verstorbenen, nahezu unbekannten Autors Julian Carax in die Hände fällt, das ihn von der ersten Seite an in seinen Bann zieht.
Bald muss Daniel feststellen, dass außer ihm auch andere an diesem Buch interessiert sind, allen voran ein unheimlicher
Fremder, der es vernichten will. Daniel beginnt, Nachforschungen anzustellen, um mehr über Caranx’ Leben und seinen
mysteriösen Tod heraus zu finden. Je mehr er im Lauf der Jahre über den Autor in Erfahrung bringt, desto mehr verwebt sich
dessen Leben auf schicksalhafte Weise mit dem seinen …

„Der Schatten des Windes“ ist ein überaus spannender, fesselnder Roman, der Krimi, Abenteuerroman, Liebesroman und
historischer Roman zugleich und dazu auch noch in einer wunderschönen Sprache geschrieben ist.
Die geschickt angeordneten Handlungsstränge und Rückblenden schaffen einen nicht enden wollenden Spannungsbogen
und bringen auch die Nebenerzähler mit in das dramatische Geschehen ein. Nicht zuletzt ist das Werk aber auch
eine Liebeserklärung an das Lesen und an Bücher an sich sowie an seinen Handlungsort Barcelona.

Wer die Schauplätze des Romans vor Ort erleben möchte, macht dies am Besten mit dem Buch
Mit Carlos Ruiz Zafón durch Barcelona: Ein Reiseführer“.

 

 

 

Antonio Tabucchi:

Erklärt Pereira

(engl.: Pereira Declares: A Testimony)

 

 
 

 

Portugal im Sommer 1938: Pereira, der einsame, verwitwete und an Politik desinteressierte Kulturredakteur der Abendzeitung „Lisboa“,
flüchtet sich vor der politischen Realität vorzugsweise in französische Romane des 19. Jahrhunderts und in Erinnerungen an sein
früheres Leben, insbesondere an seine verstorbene Frau, mit deren Portrait er täglich spricht.
Eines Tages lernt er einen jungen Mann kennen, den er als freien Mitarbeiter für sein Kultur-Ressort gewinnt -
nicht zuletzt deswegen, weil er in ihm ein bisschen einen Sohn sieht, den er und seine Frau niemals hatten.
Dieser Monteiro Rossi ist im Gegensatz zu Pereira ein engagierter politischer Idealist und bestrebt, seiner antifaschistischen
Überzeugung in seinen Texten Ausdruck zu verleihen. Durch ihn und seine gleichgesinnte Freundin Marta wird Pereira
zunehmend an seine eigenen Ideale aus der Jugendzeit erinnert. Allmählich erwacht er aus der bequemen Lethargie und spürt,
dass er Stellung beziehen muss zu den Dingen, die um ihn herum geschehen. Als er direkter Zeuge der Brutalität des Regimes wird,
setzt er alles dran, um an der Zensur vorbei einen als Nachruf getarnten Augenzeugenbericht im Kulturteil der „Lisboa“ zu veröffentlichen …

  Dieser Wandel des Protagonisten ist nicht in klassischer Erzählform geschrieben, sondern wie das Protokoll einer Zeugenaussage.
Erklärt Pereira“ bzw. „Pereira erklärt“ markiert nicht nur Titel, Anfang und Ende des Romans, sondern wird im Laufe
der Geschichte nahezu auf jeder Seite verwendet. Obgleich das Buch in seiner Aussage sehr politisch ist, ist es dennoch
locker, leicht und spannend zu lesen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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